Raltegravir (Isentress®)
Einleitung
Raltegravir (MK-0518, RGV, Handelsnamen Isentress®, Hersteller: MSD) gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die Integrase-Inhibitoren genannt werden. Weitere Substanzen dieser Klasse sind in Entwicklung [Elvitegravir (GS-9137 = JTK-303), Dolutegravir (S/GSK 1349572) und S/GSK 1265744]. Die Wirkungsweise dieser Substanzen besteht in der Hemmung eines viruseigenen Enzyms, der HIV-Integrase - konkret des Strang-Transfers - wodurch das Virus-Erbgut nicht in die menschliche Erbinformation der Zelle eingespleisst werden kann. Ein in die menschliche Erbinformation integriertes Virus wird als Provirus bezeichnet. Als Folge davon, können keine Proviren (und damit auch keine neuen Virusproteine) gebildet werden. Integrase Inhibitoren verhindern deshalb bei HIV-infinzierten Personen neue Infektionszyklen.
Raltegravir ist in der Schweiz seit dem 01.05.2008 zur Behandlung von Patienten mit vorgängigem Therapieversagen und seit dem 01.05.2010 uneingeschränkt zugelassen und kassenpflichtig.
Integrase Inhibitoren werden werden zusammen mit Substanzen aus anderen Medikamentenklassen eingesetzt.
Resultate von Studien
In den Phase III Studien Benchmrk-1 und -2 (identisches Studiendesign, unterschiedliche Studienorte) wurden 699 PatientInnen mit einem virologischen Therapieversagen mit einer nach genotypischer Resistenztestung optimierten antiretroviralen Therapie [= optimierte Baseline-Therapie (OBT)] behandelt. Randomisiert erhielten sie zusätzlich Placebo oder Raltegravir 2 x 400mg/d po. Zur OBT gehörten der erstmalige Einsatz von Enfuvirtide (T20) bei 20% und/oder Darunavir/r bei 25% (Benchmrk-1) bzw 50% (Benchmrk.2). Der primäre Endpunkt war der Anteil StudienteilnehmerInnen mit einer HIV-1-RNA <400 Kopien/ml bei Woche 16.
Nach 16 Behandlungswochen wiesen 355/458 77.5% (vs
41.9% unter Placebo) der StudienteilnehmerInnen unter
Raltegravir einen viral load < 400 HIV1-RNA Kopien/ml auf
und 61.8% (vs 34.7% unter Placebo) einen viral load < 50
HIV1-RNA Kopien/ml. Nach 48 Behandlungswochen betrug der Anteil der
StudienteilnehmerInnen mit einem viral load <50 HIV-1RNA Kopien/ml
unter Raltegravir 62.1% (vs 32.9 % unter Placebo und die
CD4-Zellen waren um 109 (vs 45 unter Placebo) Zellen/µl
angestiegen. Die Nebenwirkungen in den OBT +
Raltegravir Gruppe waren nicht unterschiedlich zu denjenigen in
der OBT + Placebo Gruppe. Das relative Krebsrisiko in der
Raltegravirgruppe betrug 2.2/100 Patientenjahre und war damit
statistisch häufiger als in der Placebogruppe (1.8/100 unter Placebo)
aber insgesamt nicht häufiger als dies üblicherweise in einer
Patientengruppe mit vergleichbar fortgeschrittener HIV-KKrankheit
beobachtet wird.
In die Merck-004 Studie bei bisher unbehandelten PatientInnen wurden
198 Personen eingeschlossen. Randomisiert erhielten die
TeilnehmerInnen entweder eine von vier Dosierungen Raltegravir (2 x
100mg/d oder 2 x 200mg/d oder 2x 400mg/d oder 2x 600mg/d oder Efavirenz
600mg/d zusammen mit Tenofovir und 3TC. Nach 48 Behandlungswochen
hatten in allen Behandlungsgruppen 84-85% der TeilnehmerInnen eine
viral load <50 HIV-1 RNA-Kopien/ml und der Anstieg der CD4-Zellen
war vergleichbar. Nach 48 Behandlungswochen erhielten alle
TeilnehmerInnen des Raltegravir-Arms die Substanz in einer Dosierung
von 2 x 400mg/d. Nach 96 Behandlungswochen hatten 83 und 84% der
TeilnehmerInnen einen viral load < 50 HIV-1 RNA-Kopien/ml und die
CD4-Zellen waren um 221 bzw 232 Zellen/µl angestiegen.
Medikamentennebenwirkungen - unbedeutende miteingeschlossen -
waren in der Raltegravirgruppe weniger häufig als in der
Efavirenzgruppe (51% versus 74%). Die am häufigsten (bei >10% der
TeinhemerInnen) beobachteten Nebenwirkungen waren Übelkeit, Schwindel
und Kopfschmerzen und traten in beiden Gruppen gleichhäufig auf.
ZNS-Nebenwirkungen wie Schwindel und vermehrtes Träumen wurden unter
Efavirenz häufiger beobachtet als unter Raltegravir (32% versus 16%).
Schwere Nebenwirkungen traten unter Raltegravir keine auf.
In der prospektiv randomisierten Studie Easier (ANRS 138) wurden 170 massiv vorbehandelte PatientInnen unter einer stabilen, Enfuvirtide (T20) -enthaltenden Kombinationstherapie entweder mit Enfuvirtide weiterbehandelt oder auf Raltegravir umgestellt. Zum Zeitpunkt der Randomisierung waren die PatientInnen im Mittel 48 Jahre alt, hatten eine CD4-Zellzahl von 374 bzw. 410/µl, einen CD4-Nadir von 56 bzw. 39/µl und bei 75% bzw. 71% lag der viral load unter der Nachweisgrenze von 50 HIV-1 RNA-Kopien/ml. Die Vorbehandlungsdauer betrug 13,6 und 13,7 Jahre, davon 2,2 bzw. 2,5 Jahre mit Enfuvirtide. Bei je einem Teilnehmer (1.2%) pro Behandlungsgruppe zeigte sich nach 24 Behandlungswochen ein virologisches Therapieversagen.
Die CD4-Zellzahl war in beiden Gruppen vergleichbar und auch bezüglich Nebenwirkungen zeigte sich kein signifikanter Unterschied.
In den identischen prospektiv randomisierten Studien
SWITCHMRK I und II (Protokoll 032 und 033) wurden zusammen 699
PatientInnen mit einem viral load <50 Kopien/ml (PCR) oder
<75 Kopien/ml (bDNA) seit mindestens drei Monaten unter einer
Lopinavir/r (LPV/r) -enthaltenden Kombinationstherapie auf Raltegravir
umgestellt oder mit LPV/r weiterbehandelt. Die
Begleitmedikation - mindestens zwei NRTI's, keine PI - wurde
unverändert beibehalten. Nach 24 Behandlungswochen lag der
viral load bei 87% und 81% (Protokoll 032) bzw. 94% und 88%
(Protokoll 033) der StudienteilnehmerInnen unterhalb der
Nachweisgrenze von 50 HIV1 RNA-Kopien/ml. Bei einer Differenz
von -6.6%. bzw. 5.8% wurden in beiden Studien das vorabdefinierte
Kriterium für eine Nicht-Unterlegenheit von Raltegravir im Vergleich zu
Lopinavir/r verfehlt.
Ein Therapieversagen mit einem viral load bestätigt >400
Kopien/ml (viral load bestätigt >50 Kopien/ml) fand sich in
beiden Studien kombiniert unter Raltegravir bei 12 (32), und
unter LPV/r bei 4 (17) StudienteilehmerInnen. 84% der PatientInnen
mit Therapieversagen (viral load bestätigt >50 Kopien/ml)
unter Raltegravir nahmen zum Zeitpunkt der
Randomisierung nicht ihre erste Kombinationstherapie ein
und 66% hatten bereits früher ein Therapieversagen.
Unter Raltegravir im Vergleich zu LPV/r besser war das Lipidprofil.
Nach dem Wechsel auf Raltegravir sanken die Triglyceride um mehr
als 40%, das Nüchtern-Cholesterin um gut 12% und das Nicht
HDL-Cholesterin um 15%. Unbeeinflusst blieben HDL- und
LDL-Cholesterin. Die Tolerabilität war gut; schwerwiegende
Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet.
Resistenz
Zu einer verminderten Empfindlichkeit (Faktor 10 bzw. 25) der Viren gegenüber Raltegravir kommt es über die Mutation N155H oder über die Mutationen Q148K/R/H zusammen mit weiteren Mutationen; konkret bei N155H plus L74M, E92Q oder G163R bzw. Q148K/R/H plus E138K oder G140S/A. N155H und Q148K/R/H sind beide im katalytischen Kern der Integrase lokalisiert und gehen einher mit einer Kreuzresistenz gegenüber weiteren Intergrase Strang Transfer Inhibitoren.
Nebenwirkungen
Die Substanz ist in der Regel sehr gut verträglich. In der Postmarketing Surveillance wurde jedoch schwere, potentiell lebensbedrohliche und auch fatale Hautreaktionen (Stevens-Johnson Syndrom, Toxische epidermale Nekrolysen) und Hypersensitivitätssyndrome beobachtet.
Interaktionen
Raltegravir wird nicht über das Cytochrom P450-System verstoffwechselt; die Metabolisierung erfolgt hauptsächlich durch Glukuronidierung (UGT1A1) in der Leber. Die gleichzeitige Gabe von Atazanavir/r erhöht - durch Hemmung von UGT1A1 - die Raltegravir-Konzentrationen um 41%. Die gleichzeitige Gabe von Tipranavir erniedrigt die Raltegravir-Konzentrationen.
Lagerungsvorschriften
Raltegravir ist nach Angaben des Herstellers aufzubewahren.
Dosierung
Raltegravir wird in einer Dosierung von 2 x 400mg/d eingenommen
Kommentar
Raltegravir als Vertreter einer neue Substanzklasse (und
damit ohne Kreuzresistenzen mit den bekannten Medikamenten),
verabreicht mit noch wirksamen Medikamenten aus den bekannten
Substanzklassen, stellt für PatientInnen mit multiplen Vorbehandlungen
derzeit eine der wichtigsten Optionen für eine Salvage-Therapie dar.
Bei bisher unbehandelten Menschen mit einer HIV-Infektion erscheint
Raltegravir über 96 bzw. 48 Wochen
virologisch vergleichbar aktiv wie Efavirenz; und dies bei
besserer Vertäglichkeit bezüglich ZNS-Nebenwirkungen und
Lipidstoffwechsel. Die Bedeutung des initial rascheren viral
load-Abfalls unter Raltegravir ist unbekannt, aber sicher
kein Nachteil; ebenso unklar ist die klinische Bedeutung des
diskret grösseren Anstiegs der CD4-Zellen nach 48 Wochen.
Aufgrund der vergleichbaren Wirksamkeit zu Efavirenz und dem vorteilhaften Nebenwirkungsprofil erscheint Raltegravir attraktiv für den Einsatz in der Erstbehandlung (= bei bisher unbehandelten PatientInnen). Gemäss den aktuellen DHSS-Therapieempfehlungen gehört Raltegravir denn auch zu den Substanzen der Wahl bei der Erstlinientherapie. Noch ist die Erfahrung im Vergleich zu den etablierten Therapien jedoch bescheiden. Eine einmaltägliche Dosierung wäre wünschenswert und entsprechende Studien sind in Gange. Sollte die Substanz jedoch je in der Erstbehandlung eingesetzt werden ist eine Anpassung des Preises hingegen nicht nur wünschenswert, sondern ein Muss. Raltegravir in der Dosierung 2x 400mg/d ist beinahe 4 x so teuer wie Efavirenz.
Raltegravir ist keine Wunderdroge, sondern ein Medikament mit einer bezüglich Resistenzentwicklung geringen genetischen Barriere. Die ANRS-Studie 138 zeigt deutlich, wie Raltegravir eingesetzt werden kann und die Switchmark-Studien zeigen, wie Raltegravir nicht eingesetzt werden soll. Voraussetzung für einen erfolgreichen Switch ist eine funktionierende Begleitmedikation. Ist dies nicht der Fall (archivierte Resistenzen!), soll am besten nicht gewechselt werden. Keinesfalls darf in dieser Situation, einer potentiell funktionellen Monotherapie, von einer Substanz mit einer hohen genetischen Barriere auf eine Substanz mit einer niedrigeren genetischen Barriere gewechselt werden. Bei funktionierender Begleitmedikation, und nur dann, ist ein Wechsel wegen potentieller Nebenwirkungen wie eine Hypercholesterinämie möglich..
Im Falle des Auftretens eines Hypersensitivitätssyndroms,
einer schweren Hautreaktionen oder einer Hautreaktion mit
systemischen Symptomen oder erhöhten Lebenenzymen muss Raltegravir
unverzüglich abgesetzt werden.
Literatur
Last update 15.05.2012
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