Zehn Fragen und Antworten zur HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP)


  1. Was versteht man unter einer HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP)?
  2. In welchen Situationen soll eine HIV-PEP durchgeführt werden?
  3. Ist die Wirksamkeit einer HIV-PEP gesichert?
  4. Welche sind die befürchteten Nachteile einer HIV-PEP?
  5. Führt eine HIV-PEP zur Entwicklung resistenter HIV-Stämme?
  6. Wird eine PEP auch bei Kontakt mit anderen Krankheitserregern durchgeführt?
  7. Woraus besteht der Medikamenten-Cocktail?
  8. Wohin soll ich mich für eine HIV-PEP wenden?
  9. Werden die Bahndlungskosten für eine HIV-PEP von der Krankenkasse übernommen?
  10. Gibt es nicht-gesundheitliche Folgen einer HIV-PEP?




1. Was versteht man unter der HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP)?

Unter dem Begriff HIV-PEP versteht man die vorbeugende Einnahme von Anti-HIV-Medikamenten nach einem sicheren oder möglichen Kontakt mit HIV mit dem Ziel eine Infektion, d.h. die Verbreitung und Vermehrung des Virus im Körper zu verhindern.
Eine HIV-PEP umfasst neben der Einnahme von Medikamenten eine Situationsanalyse und Beratung mit HIV dem Ziel zukünftiges Risikoverhalten zu vermeiden.



2. In welchen Situationen soll eine HIV-PEP durchgeführt werden?

Eine HIV-PEP soll in allen Situationen durchgeführt werden, in denen mehr als ein vernachlässigbar kleines Risiko für eine Übertragung von HIV besteht. Im Medizinalbereich sind dies v.a. Stich- und Schnittverletzungen mit HIV-kontaminierten Gegenständen; ausserhalb des Medizinalbereichs handelt es sich um ungeschützten vaginalen oder analen Sexualverkehr mit einem/einer HIV-infizierten PartnerIn, ungeschützten oralen Sexualverkehr (Fellatio) Ejakulation (Samenerguss) des HIV-infizierten Partners oder die Verwendung von gebrauchtem Injektionsmaterial einer HIV-infizierten Person.



3. Ist die Wirksamkeit einer HIV-PEP gesichert?

Eine Ende 1995 veröffentlichte Fall-Kontroll-Studie bei HIV-exponierten Medizinalpersonen zeigte, dass eine HIV-PEP mit AZT nach Verletzungen das Risiko einer HIV-Übertragung um etwa 80% senkt. Weiter wies eine Studie bei HIV-infizierten Schwangeren nach, dass die Einnahme von AZT während der Schwangerschaft und unter der Geburt durch die Mutter sowie später als Sirup durch das Neugeborene das Übertragungsrisiko eine HIV-Übertragung von der Mutter auf das Neugeborene um etwa 70% zu reduzieren vermag.
Die Wirksamkeit einer HIV-PEP bei Sexualkontakten ist nicht gesichert. Obengenannte Studien sowie Untersuchungen bei Primaten lassen jedoch eine Wirksamkeit annehmen.
In Analogie zur Behandlung der HIV-Krankheit, bei der Dreierkombinationen bedeutend wirksamer sind als Mono- oder Zweiertherapien erhofft man sich auch von einer HIV-PEP mit mehreren Substanzen eine grössere Wirksamkeit. Wird eine HIV-PEP durchgeführt, so soll sie grundsätzlich so rasch wie möglich eingeleitet werden. Ein Beginn mehr als 72 Stunden nach Exposition ist nicht erfolgversprechend.



4. Welche sind die befürchteten Nachteile einer HIV-PEP?

Die hauptsächliche Befürchtung ist, dass die Verfügbarkeit einer HIV-PEP als Alternative zu sicherem Sex und sauberen Nadeln betrachtet werden könnte. Die HIV-PEP ist kein Ersatz für Präservative und steriles Injektionsmaterial! Eine andere Befürchtung sind schwerwiegende Nebenwirkungen durch die einzunehmenden Medikamente. Während der Einnahme der Medikamente müssen Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Langzeitschäden nach der Einnahme der Substanzen während lediglich 4 Wochen sind jedoch weniger zu befürchten. 



5. Führt eine HIV-PEP zur Entwicklung und Verbreitung resistenter HIV-Stämme?

Eine Resistenz entwickelt sich, wenn HIV ungenügenden Medikamenten- Konzentrationen ausgesetzt wird, so dass sich das weiter Virus vermehren kann. Wenn HIV sich vermehrt entstehen im Erbgut des Virus Veränderungen, die es gegen die Medikamente weniger empfindlich machen (Resistenzmutationen).
Eine Resistenzentwickung unter drei Medikamenten während 4 Wochen ist unwahrscheinlich. Sollte die HIV-PEP - wie erhofft - zudem eine Infektion bei mehr als 80% der exponierten Personen verhindern, sind dies auch mehr als 80% weniger Menschen, die eine HIV-Infektion potentiell weiterverbreiten können.



6. Wird eine PEP auch bei Kontakt mit anderen Krankheitserregern durchgeführt?

Beispiele für eine PEP bei anderen Erregern von Infektionskrankheiten sind die Hepatitis B (durch Blut und Sexualverkehr übertragene Form einer Gelbsucht) und die Tollwut, bei denen nach einer Exposition durch eine Immunisierung (Verabreichung eines Impfstoffes und/oder von Antikörpern) eine Erkrankung verhindert werden kann. Ein weiteres Beispiel ist der Kontakt mit dem Tuberkulose-Erreger "Mycobacterium tuberculosis" bei dem sich eine Tuberkulose-Erkrankung durch die konsequente Einnahme eines Antibiotikums während 9 Monaten verhindern lässt. Eine PEP nach Kontakt mit Mycobacterium tuberculosis ist seit langem bekannt, die Wirksamkeit gesichert und wird als "präventive Chemotherapie" bezeichnet.



7. Woraus besteht der Medikamenten-Cocktail?

Es gelangen insgesamt drei Medikamente zum Einsatz, die den Vermehrungszyklus des Virus an zwei unterschiedlichen Entwicklungsschritten unterbrechen. Die eine Medikamentenklasse wird Reverse Transkriptase-Hemmer, die andere Protease-Hemmer genannt.
Die Erbinformation des Virus ist kodiert als RNA (Ribonukleinsäure); die menschliche Erbinformation als DNA (Desoxy-Ribonukleinsäure). Soll in einer menschlichen Zelle ein Eiweiss hergestellt werden, so wird die Erbinformation (DNA) abgelesen, in RNA übersetzt und diese Information an zelluläre Fabriken weitergegeben, die Eiweisse herstellen. Menschliche Zellen haben keinen Bedarf an einem Übersetzungsprogramm "RNA zu DNA" und besitzen es deshalb auch nicht. Um aber in das menschliche Erbgut hereingespleisst werden zu können muss die Erbinformation des Virus zuerst in die Sprache des menschlichen Erbgutes übersetzt werden. Dies erfolgt mit einem Übersetzungsprogramm, genannt Reverse Transkriptase, welches das Virus selbst mitbringt. Medikamente der Klasse "Reverse Transkriptase-Hemmer" verhindern die Übersetzung des Viruserbgutes von RNA zu DNA und somit ein Einnisten von HIV in das menschliche Erbgut. Die zweite Medikamentenklasse, die Protease-Hemmer unterbricht den HIV-Vermehrungszyklus an einem späteren Entwicklungsschritt und verhindert die Ausreifung von in menschlichen Zellen neu produzierten Viren. Unreife Viren sind nicht fähig neue Zellen zu infizieren und die Infektion bleibt auf bereits infizierte Zellen beschränkt. Falls es sich bei den befallenen Zelle nicht um eine besonders langlebige Zelle handelt erlischt die HIV-Infektion mit dem Absterben der infizierten Zelle.
Meistens werden zwei Reverse Transkriptase-Hemmer und ein Protease-Hemmer eingesetzt. Welche Substanzen bei einer HIV-PEP genau eingenommen werden müssen richtet sich u.a. nach der Art der Behandlung des Indexfalles (der Person von welcher HIV möglicherweise übertragen wurde).



8. Wohin soll ich mich für eine HIV-PEP wenden?

Eine HIV-PEP sollte möglichst rasch nach einer möglichen Exposition eingeleitet werden - bevor das Virus sich in den menschlichen Zellen einnisten konnte. Nachts wendet sich man deshalb am besten an die Notfallstation eines nahegelegenen Spitals oder an den Notfallarzt; tagsüber an den Hausarzt.



9. Muss oder kann ich die Behandlungskosten für eine HIV-PEP selbst bezahlen?

Die Kosten einer HIV-PEP belaufen sich auf ca. 3'000 Franken. Wie für die PEP einer anderen Infektionskrankheit werden auch die Kosten für eine HIV- PEP von den Krankenkassen übernommen. Wer möchte kann die Kosten selbst tragen.



10. Gibt es nicht-gesundheitliche Folgen einer HIV-PEP?

Wer eine Lebens- oder eine andere auf dem Privatrecht basierende Versicherung (z.B. Lebensversicherung, Krankenkassen-Zusatzversicherung) abschliessen möchte wird von der Versicherungsgesellschaft oft gefragt, ob er jemals einen HIV-Test durchgeführt hat. Im Rahmen der HIV-PEP werden auch HIV-Tests durchgeführt. Die Tatsache, dass jemand einen HIV-Test durchführen liess könnte von der Versicherungsgesellschaft dahingehend interpretiert werden, dass der/die AntragsstellerIn ein erhöhtes Risiko für eine HIV-Infektion aufweist. Diese Annahme könnte wiederum genügen, dass eine Versicherungsantrag abgelehnt wird.



Markus Flepp, 01.08.2007