Zehn Fragen und Antworten zur HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP)

- Was versteht man unter einer HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP)?
- In welchen Situationen soll eine HIV-PEP durchgeführt werden?
- Ist die Wirksamkeit einer HIV-PEP gesichert?
- Welche sind die befürchteten Nachteile einer HIV-PEP?
- Führt eine HIV-PEP zur Entwicklung resistenter HIV-Stämme?
- Wird eine PEP auch bei Kontakt mit anderen Krankheitserregern durchgeführt?
- Woraus besteht der Medikamenten-Cocktail?
- Wohin soll ich mich für eine HIV-PEP wenden?
- Werden die Bahndlungskosten für eine HIV-PEP von der Krankenkasse übernommen?
- Gibt es nicht-gesundheitliche Folgen einer HIV-PEP?
1. Was versteht man unter der HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP)?
Unter dem Begriff HIV-PEP
versteht man die vorbeugende Einnahme von Anti-HIV-Medikamenten nach
einem sicheren oder möglichen Kontakt mit HIV mit dem Ziel eine
Infektion, d.h. die Verbreitung und Vermehrung des Virus im Körper
zu verhindern.
Eine HIV-PEP umfasst neben der Einnahme von Medikamenten eine
Situationsanalyse und Beratung mit HIV dem Ziel zukünftiges Risikoverhalten zu vermeiden.
2. In welchen Situationen soll eine HIV-PEP durchgeführt werden?
Eine HIV-PEP soll in allen
Situationen durchgeführt werden, in denen mehr als ein
vernachlässigbar kleines Risiko für eine Übertragung von
HIV besteht. Im Medizinalbereich sind dies v.a. Stich- und
Schnittverletzungen mit HIV-kontaminierten Gegenständen;
ausserhalb des Medizinalbereichs handelt es sich um ungeschützten
vaginalen oder analen Sexualverkehr mit einem/einer HIV-infizierten
PartnerIn, ungeschützten oralen Sexualverkehr (Fellatio)
Ejakulation (Samenerguss) des HIV-infizierten Partners oder die
Verwendung von gebrauchtem Injektionsmaterial einer HIV-infizierten
Person.
3. Ist die Wirksamkeit einer HIV-PEP gesichert?
Eine Ende 1995
veröffentlichte Fall-Kontroll-Studie bei HIV-exponierten
Medizinalpersonen zeigte, dass eine HIV-PEP mit AZT nach Verletzungen
das Risiko einer HIV-Übertragung um etwa 80% senkt. Weiter wies
eine Studie bei HIV-infizierten Schwangeren nach, dass die Einnahme von
AZT während der Schwangerschaft und unter der Geburt durch die
Mutter sowie später als Sirup durch das Neugeborene das
Übertragungsrisiko eine HIV-Übertragung von der Mutter auf
das Neugeborene um etwa 70% zu reduzieren vermag.
Die Wirksamkeit einer HIV-PEP bei Sexualkontakten ist nicht gesichert.
Obengenannte Studien sowie Untersuchungen bei Primaten lassen jedoch
eine Wirksamkeit annehmen.
In Analogie zur Behandlung der HIV-Krankheit, bei der
Dreierkombinationen bedeutend wirksamer sind als Mono- oder
Zweiertherapien erhofft man sich
auch von einer HIV-PEP mit mehreren Substanzen eine grössere
Wirksamkeit. Wird eine HIV-PEP durchgeführt, so soll sie
grundsätzlich so rasch wie möglich eingeleitet werden. Ein
Beginn mehr als 72 Stunden nach Exposition ist nicht
erfolgversprechend.
4. Welche sind die befürchteten Nachteile einer HIV-PEP?
Die hauptsächliche
Befürchtung ist, dass die Verfügbarkeit einer HIV-PEP als
Alternative zu sicherem Sex und sauberen Nadeln betrachtet werden
könnte. Die HIV-PEP ist kein Ersatz für Präservative und
steriles Injektionsmaterial!
Eine andere Befürchtung sind schwerwiegende Nebenwirkungen durch
die einzunehmenden Medikamente. Während der Einnahme der
Medikamente müssen Nebenwirkungen in Kauf genommen werden.
Langzeitschäden nach der Einnahme der Substanzen während
lediglich 4 Wochen sind jedoch weniger zu befürchten.
5. Führt eine HIV-PEP zur Entwicklung und Verbreitung resistenter HIV-Stämme?
Eine Resistenz entwickelt sich, wenn HIV ungenügenden Medikamenten-
Konzentrationen ausgesetzt wird, so dass sich das weiter Virus vermehren
kann. Wenn HIV sich vermehrt entstehen im Erbgut des Virus
Veränderungen, die es gegen die Medikamente weniger empfindlich machen
(Resistenzmutationen).
Eine Resistenzentwickung unter drei Medikamenten während 4 Wochen ist
unwahrscheinlich. Sollte die HIV-PEP - wie erhofft - zudem eine Infektion bei
mehr als 80% der exponierten Personen verhindern, sind dies auch mehr als
80% weniger Menschen, die eine HIV-Infektion potentiell weiterverbreiten
können.
6. Wird eine PEP auch bei Kontakt mit anderen Krankheitserregern
durchgeführt?
Beispiele für eine PEP
bei anderen Erregern von Infektionskrankheiten sind die Hepatitis B
(durch Blut und Sexualverkehr übertragene Form einer Gelbsucht)
und die Tollwut, bei denen nach einer Exposition durch eine
Immunisierung (Verabreichung eines Impfstoffes und/oder von
Antikörpern) eine Erkrankung verhindert werden kann. Ein weiteres
Beispiel ist der Kontakt mit dem Tuberkulose-Erreger "Mycobacterium
tuberculosis" bei dem sich eine Tuberkulose-Erkrankung durch die
konsequente Einnahme eines Antibiotikums während 9 Monaten
verhindern lässt. Eine PEP nach Kontakt mit Mycobacterium
tuberculosis ist seit langem bekannt, die Wirksamkeit gesichert und
wird als "präventive Chemotherapie" bezeichnet.
7. Woraus besteht der Medikamenten-Cocktail?
Es gelangen insgesamt drei
Medikamente zum Einsatz, die den Vermehrungszyklus des Virus an zwei
unterschiedlichen Entwicklungsschritten unterbrechen. Die eine
Medikamentenklasse wird Reverse
Transkriptase-Hemmer, die andere Protease-Hemmer genannt.
Die Erbinformation des Virus ist kodiert als RNA
(Ribonukleinsäure); die menschliche Erbinformation als DNA
(Desoxy-Ribonukleinsäure). Soll in einer menschlichen Zelle ein
Eiweiss hergestellt werden, so wird die Erbinformation (DNA) abgelesen,
in RNA übersetzt und diese Information an zelluläre
Fabriken weitergegeben, die Eiweisse herstellen. Menschliche Zellen
haben keinen Bedarf an einem Übersetzungsprogramm "RNA zu DNA" und
besitzen es deshalb auch nicht. Um aber in das menschliche Erbgut
hereingespleisst werden zu können muss die Erbinformation des
Virus zuerst in die Sprache des menschlichen Erbgutes übersetzt
werden. Dies erfolgt mit einem Übersetzungsprogramm, genannt
Reverse Transkriptase, welches das Virus selbst mitbringt. Medikamente
der Klasse "Reverse Transkriptase-Hemmer" verhindern die
Übersetzung des Viruserbgutes von RNA zu DNA und somit ein
Einnisten von HIV in das menschliche Erbgut.
Die zweite Medikamentenklasse, die Protease-Hemmer unterbricht den
HIV-Vermehrungszyklus an einem späteren Entwicklungsschritt und
verhindert die Ausreifung von in menschlichen Zellen neu produzierten
Viren. Unreife Viren sind nicht fähig neue Zellen zu infizieren
und die Infektion bleibt auf bereits infizierte Zellen beschränkt.
Falls es sich bei den befallenen Zelle
nicht um eine besonders langlebige Zelle handelt erlischt die
HIV-Infektion mit dem Absterben der infizierten Zelle.
Meistens
werden zwei Reverse Transkriptase-Hemmer und ein Protease-Hemmer
eingesetzt. Welche Substanzen bei einer HIV-PEP genau eingenommen
werden müssen richtet sich u.a. nach der Art der Behandlung des Indexfalles
(der Person von welcher HIV möglicherweise übertragen wurde).
8. Wohin soll ich mich für eine HIV-PEP wenden?
Eine HIV-PEP sollte möglichst rasch nach einer möglichen Exposition
eingeleitet werden - bevor das Virus sich in den menschlichen Zellen einnisten
konnte. Nachts wendet sich man deshalb am besten an die Notfallstation
eines nahegelegenen Spitals oder an den Notfallarzt; tagsüber an den
Hausarzt.
9. Muss oder kann ich die Behandlungskosten für eine HIV-PEP selbst
bezahlen?
Die Kosten einer HIV-PEP belaufen sich auf ca. 3'000 Franken. Wie für die
PEP einer anderen Infektionskrankheit werden auch die Kosten für eine HIV-
PEP von den Krankenkassen übernommen. Wer möchte kann die Kosten selbst tragen.
10. Gibt es nicht-gesundheitliche Folgen einer HIV-PEP?
Wer eine Lebens- oder eine
andere auf dem Privatrecht basierende
Versicherung (z.B. Lebensversicherung,
Krankenkassen-Zusatzversicherung)
abschliessen möchte wird von der Versicherungsgesellschaft oft
gefragt, ob er jemals einen HIV-Test durchgeführt hat. Im Rahmen
der HIV-PEP werden auch HIV-Tests durchgeführt. Die Tatsache, dass
jemand einen HIV-Test durchführen liess könnte von der
Versicherungsgesellschaft dahingehend interpretiert werden, dass
der/die AntragsstellerIn ein erhöhtes Risiko für eine
HIV-Infektion aufweist. Diese Annahme könnte wiederum
genügen, dass eine Versicherungsantrag abgelehnt wird.
Markus Flepp, 01.08.2007