Tipranavir (Aptivus®)

Einleitung

Tipranavir (TPV, PNU-140690, Handelsname Aptivus®, Hersteller Boehringer-Ingelheim) gehört zur Klasse der antiretroviralen Substanzen die Protease-Inhibitoren genannt werden. Weitere Substanzen dieser Klasse sind Amprenavir, Atazanavir, Indinavir, Lopinavir, Nelfinavir, Ritonavir und Saquinavir. Die Wirkungsweise dieser Substanzen besteht in der Hemmung eines viruseigenen Enzyms, der HIV-Protease. Die Blockierung dieser "Eiweiss-Schere" führt zu unreifen, nicht-infektiösen Viren, d.h. sie können keine weiteren Zellen mehr infizieren. Protease Inhibitoren verhindern deshalb bei HIV-infinzierten Personen neue Infektionszyklen. Zwischen den bisher zugelassenen Proteaseinhibitoren besteht eine weitgehende Kreuzresistenz; d.h. gegen Viren, die auf die eine Substanz unempfindlich geworden sind nützen auch die anderen Medikamente dieser Substanzklasse nichts mehr, oder zumindest nicht mehr zuverlässig. Die Proteaseinhibitoren Tipranavir und Darunavir werden gelegentlich auch als "second generation" Proteaseinhibitoren bezeichnet, da sie häufig auch dann noch (zumindest partiell) wirken, wenn Viren mit multiple Resistenzmutation vorliegen, die gegenüber andere PI's unempfindlich geworden sind.

Tipranavir ist in den USA seit dem 22.06.2005 und in der EU seit dem 26.10.2005 zugelassen. In der Schweiz ist TPV seit dem 25.08.2005 zugelassen und wird ab dem 01.01.2006 kassenpflichtig. 

Protease Inhibitoren werden vorzugsweise zusammen mit zwei Nukleosidanalogen RT-Hemmern oder einem Nukleosidanalogen- und einem Nukleotidanalogen RT-Hemmer eingesetzt. Im Idealfall handelt es sich um drei neue Substanzen, mit denen eine Person noch nie zuvor behandelt wurde. Bei vorbehandelten Personen ist dies nicht immer möglich. In diesem Fall sollte ein Therapiewechsel mindestens zwei neue Substanzen ohne Kreuzresistenz umfassen mit denen die Person noch nie zuvor behandelt wurde. Die Zugabe lediglich einer neuen Substanz zu einer unbefriedigenden Therapie führt zur Entwickung von Resistenzen und ist zum Scheitern verurteilt.

Resultate von Studien

Tipranavir ist ein nicht-peptidische Proteaseinhibitor und zeigte in vitro eine gute Wirksamkeit gegen PI-resistente Viren. Wegen der schlechten oralen Bioverfügbarkeit ist eine Ritonavir-Boosterung erforderlich.

In der Studie RESIST-1 Studie wurden 620 PatientInnen mit aktuellem Therapieversagen, die bis zu diesem Zeitpunkt mit Nukleosidanaloga und Nicht-Nukleosiadanaloga RT-Inhibitoren und mindestens zwei Proteaseinhibitoren behandelt worden waren - hingegen Viren mit nicht mehr als zwei für die Wirksamkeit von Proteaseinhibitoren kritische Mutationen an den Positionen 30, 82, 84, or 90, und somit nicht Viren mit extremster Kreuzresistenz  - randomisiert entweder mit Tipranavir/r (2 x 500/200 mg) oder anderen Ritonavir-geboosteten PI's (Kontrollgruppe) und weiteren Medikamenten behandelt. Der Einsatz von Enfuvirtide (T20) war grundsätzlich erlaubt. Die Wahl des geboosteten PI's zur Behandlung der PatientInnen, die der Kontrollgruppe zugeordnet worden waren, war grundsätzlich frei. Der behandlende Arzt erhielt jedoch eine auf der individuellen Behandlungsvorgeschichte und den Ergebnissen von Resisistenztests basierte Empfehlung einer Expertengruppe.

Zu Beginn der Studie betrug in beiden Gruppen der viral load etwa 80'000 HIV RNA-Kopien/ml (4.8 log) und die CD4 Zellen123 Zellen/ul. 311 PatientInnen wurden mit Tipranavir /r und 309 mit einem alternativen geboosteten PI (LPV/r 61%, SQV/r 21%, APV/r 14% und IDV/r 4%) behandelt..

Nach 24 Behandlungswochen wiesen in der Tipranavir/r-Gruppe 41.5% und 22.3% der PatientInnen der Vergleichsgruppe eine Reduktion des viral loads um einen Faktor >10 (ITT, NCF; p <0.0001) und jeweils ein grösserer Prozentsatz der mit Tipranavir/r als der mit einem alternativen geboosteten PI behandelten PatientInnen hatten einen viral load <400 (34.7% vs. 16.5%, p < .001) bzw. <50 HIV RNA-Kopien/ml. Der Anstieg der CD4-Zellen in der Tipranavir/r-Gruppe betrug 36, in der Vergleichsgruppe 6 Zellen/ul (LOCF, p<0.001).
Von den PatientInnen, die mit Tipranavir/r & T20 behandelt wurden, erzielten 47.1% einen viral load < 400 und 32.8% einen viral load < 50 HIV RNA-Kopien/ml; bei den PatientInnen welche mit einem alternativen geboosteten PI & T20 behandelt wurden, waren dies lediglich 21.9 und 14.3%.

Den Empfehlungen des Expertengremiums zur Wahl des alternativen geboosteten PI's wurde nur in 30% Folge geleistet. In 61% wurde als alternativer PI LPV/r eingesetzt. Die phänotypischen Resistenztests zu Beginn der Studie zeigten - im Vergleich zu Wildtypviren - im Mittel eine 78-fach verminderte Empfindlichkeit gegenüber LPV/r; gegenüber anderen PI's war die Empfindlichkeit jedoch ebenfalls vermindert: 39-fach gegenüber Indinavir, 27-fach gegenüber Saquinavir und 12-fach gegenüber Amprenavir. Gegenüber Tipranavir hingegen betrug die verminderte Empfindichkeit lediglich einen Faktor 2.

Leber- und Fettwerte waren in der Tipranavir/r-Gruppe höher als in der Vergleichsgruppe. Bei zwei PatientInnen der TPV/r-Gruppe wurde die Behandlung wegen erhöhten Leberwerten abgebrochen.


Resistenz

Eine verminderte Empfindlichkeit von Tipranavir basiert üblicherweise auf mehreren HIV-Mutationen (vgl. unten). Beim Vorliegen von 1-4 Mutationen wird in der Regel eine volle Wirksamkeit beobachtet; beim Vorliegen von 5-7 Mutationen besteht hingegen eine verminderte Empflindlichkeit und beim Vorliegen von 8 oder mehr Mutationen eine vollständige Resistenz. Tipranivir-Resistenz assoziierte Mutationen sind: L10V, I13V, K20M/R/V, L33F, E35G, M36I, K43T, M46L, I47V, I54A/M/V, Q58E, H69K, T74P, V82L/T, N83D, I84V.

Nebenwirkungen

Diarrhoe, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen. Seltener sind Schwindel und Abgeschlagenheit. Möglicherweise besteht ein erhöhtes Risiko für intrakranielle Blutungen. Im Labor sind es vor allem Transaminasenerhöhungen.

Interaktionen

Tipranavir, die anderen Proteaseinhibitoren und die Nicht-Nukleosidanloga RT-Hemmer werden in der Leber über das Cytochrom P450-System abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten und Substanzen, sogenannte Interaktionen, sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese dasselbe Enzymsystem benutzen. Das Resultat dieser Wechselwirkungen sind häufig zu hohe oder zu niedrige Blutspiegel von Tipranavir und/oder der anderen eingenommenen Substanz. Einzelne Interaktionen sind potentiell lebensbedrohlich. Zu hohe Blutspiegel führen unter Umständen zu Nebenwirkungen, zu tiefe Blutspiegel zum Verlust der Wirksamkeit.
Tipranavir darf u.a. nicht zusammen mit folgenden Substanzen eingenommen werden: Rifampicin (reduziert Tipranavir-Spiegel um 80 %), Raltegravir (Raltegravir-Talspiegel werden um 55% reduziert), Etravirin (Etravirin-Talspiegel werden um 82% reduziert). Eine Übersicht - gegliedert nach therapeutischen Gruppen - über die wichtigsten Substanzen deren gleichzeitige Einnahme mit Tipranavir zu bedeutsamen Wechselwirkungen führt findet sich unter Interaktionen mit antiretroviralen Medikamenten.

Lagerungsvorschriften

Tipranavir ist erhältlich als Tabletten à 250 mg und sind nach Vorschrift des Herstelllers aufzubewahren.

Dosierung

Tipranavir wird zusammen mit Nukleosidanaloga oder Nukleosidanaloga- und Nukleotidanaloga RT-Hemmern in einer Dosierung von 2 x 500 mg (2 x 2 Tabletten) pro Tag zusammen mit je 2 x 200 mg (2x 2 Kapseln) Ritonavir einer Mahlzeit/Snack eingenommen.

Kommentar

Tipranavir ist der erste nicht-peptidische Protease-Inhibitor (NPPI). Die in der RESIST-1-Studie dargelegte Wirksamkeit bei mit drei Medikamentenklassen vorbehandelten PatientInnen ist eindrücklich, selbst wenn das Ergebnis der Vergleichsgruppe möglicherweise besser ausgefallen wäre, wenn in mehr als 30% der Fälle die Empfehlungen des Expertengremiums zur Wahl des alternativen geboosteten PI's beachtet worden wären. Die Tatsache, dass Tipranavir/r zusammen mit T20 - einer Substanz aus einer anderen Wirkstoffklasse und somit erhaltener Wirksamkeit - aktiver war als in einer Tipranavir-"Monotherapie", ist nicht erstaunlich und zeigt einmal mehr, dass lediglich Kombinationstherapien zum Erfolg führen können. Ein Nachteil der Substanz ist jedoch ihr vergleichsweise hohes Interaktionspotential mit anderen neueren antiretroviral aktiven Medikamenten. So ist eine  Kombination mit Raltegravir oder Etravirin nicht möglich; die Kombination mit Maravoroc scheint hingegen aus pharmakologischer Sicht unproblematisch. 


Literatur


Last update  14.02.2009