2 MEDIKAMENTÖSE BEHANDLUNG GEGEN HIV


2.1 Behandlung, Beratung, Betreuung


Eine HIV-Infektion ist nicht heilbar. Die Krankheit lässt sich jedoch zunehmend besser behandeln. So wird sie heute teilweise bereits mit anderen chronischen Krankheiten, z.B. mit der Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) oder dem Bluthochdruckleiden (arterielle Hypertonie), verglichen. Bei diesen Krankheiten kann durch eine vorschriftsgemässe Einnahme von Medikamenten unter regelmässiger Kontrolle des Behandlungseffekts und möglicher Nebenwirkungen das Auftreten von Komplikationen vermieden werden. Der langfristige Nutzen der meist recht einfachen Behandlung dieser altbekannten und verbreiteten Krankheiten ist erwiesen. Die Behandlung der HIV-Infektion ist kompliziert, und die Erfahrung mit Kombinationstherapien gegen HIV ist bisher auf wenige Jahre beschränkt. Menschen mit HIV und Aids fühlen sich darum oft verunsichert. Sie fürchten Nebenwirkungen und Rückschläge. Es ist wichtig, diesem Sachverhalt bei der Begleitung von Menschen mit HIV und Aids Rechnung zu tragen.


Die Lebensqualität von Menschen mit HIV und Aids ist heute deutlich besser als noch vor wenigen Jahren. Ein Hinweis darauf ist, dass die Anzahl und die Dauer der Spitalaufenthalte von Menschen mit HIV und Aids markant abnahmen. Die Kombinationstherapien gegen HIV bewirken eine Hemmung der Virusvermehrung und damit eine Erholung der Abwehrkraft. Das führt zu einer besseren Befindlichkeit und einer geringeren Krankheitsanfälligkeit gegenüber opportunistischen Erregern und bestimmten Krebskrankheiten. Diese erwünschten Wirkungen erachten die meisten Menschen als wesentlich wichtiger als die mit der Wirkstoff-einnahme verbundenen Einschränkungen und Nebenwirkungen. Nebst den Fortschritten in der Behandlung der HIV-Infektion gelang es aber auch, die Vorbeugung und die Behandlung von opportunistischen Infektionen besser den Bedürfnissen von Menschen mit HIV und Aids anzupassen. Die meisten Behandlungen können ambulant, d.h. ohne Spitalaufenthalt, durchgeführt werden.

Viele Menschen mit HIV und Aids sind bemüht, selbst opportunistischen Infektionen vorzubeugen, z.B. durch Küchenhygiene. Mit anderen Massnahmen wie einer ausgewogenen Ernährung, der Anwendung von komplementärmedizinischen Methoden, psychotherapeutischer Begleitung usw. versuchen sie, ihre Befindlichkeit zu verbessern. Auch wenn der Verlauf der HIV-Infektion dadurch nicht oder zumindest nicht messbar beeinflusst wird, sind solche Bemühungen dann sinnvoll, wenn sie zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen.

Von vielfach unterschätzter Bedeutung bezüglich der Lebensqualität ist das Umfeld von Menschen mit HIV und Aids. Befreundete Personen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Aids-Hilfen, Mitglieder von Selbsthilfeorganisationen, Ärzte und Ärztinnen, Psychologen und Psychologinnen, Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen, Pflegepersonal, Seelsorger und Seelsorgerinnen usw. können so zusammenwirken, dass sich Menschen mit HIV und Aids im Alltag wohl fühlen, akzeptiert und respektiert werden.



2.2 HIV-PEP: die Ansteckung nach einer Risikosituation verhindern


HIV-PEP steht für Post-Expositions-Prophylaxe betreffend HIV und meint, dass eine Wirkstoffkombination dann vorbeugend eingesetzt wird, wenn eine Übertragung von HIV erfolgt sein könnte. Ziel der HIV-PEP ist es, eine HIV-Infektion zu verhindern, konkret die Vermehrung von HIV in den Zielzellen (z.B. CD4-Zellen) und die weitere Ausbreitung von HIV im Körper sofort nach einer Virusübertragung zu verhindern. 1990 empfahl die Subkommission Klinik der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen die Einnahme von AZT nach Verletzungen im Medizinalbereich im Sinne einer HIV-PEP, also beispielsweise nach dem Stich mit einer HIV-infizierten Nadel. Rund fünf Jahre später belegte eine Studie, dass dadurch das Risiko einer HIV-Übertragung um etwa 80% gesenkt worden war. Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche Wirksamkeit der HIV-PEP stammt aus einer Studie bei Schwangeren, in der die Einnahme von AZT zu einer Reduktion der HIV-Übertragung von der Mutter auf das Kind führte, und zwar um etwa 70%. Lediglich 9 bis 17% dieser Risikoreduktion lassen sich jedoch durch eine Reduktion des Viral Load im Blutplasma der Mutter erklären. Dass der Einsatz einer Kombinationstherapie im Zusammenhang mit der HIV-PEP im Medizinalbereich (siehe nächster Abschnitt) wirksamer ist als die Behandlung mit einem einzelnen Medikament gegen HIV (z.B. AZT), ist wahrscheinlich, insbesondere dann, wenn die Möglichkeit der Übertragung einer resistenten Virusvariante besteht. Daten dazu existieren jedoch nicht. Es ist nicht bekannt, ob eine HIV-PEP auch nach Sexualkontakten wirksam ist. Aus Analogie zu den beiden erwähnten Studien erscheint eine Wirksamkeit jedoch wahrscheinlich.


Die HIV-PEP im Medizinalbereich

HIV wird beim ungeschützten Geschlechtsverkehr, beim Tausch gebrauchter Spritzen oder Nadeln für den Drogenkonsum, während der Schwangerschaft, der Geburt und beim Stillen von einem Menschen auf den anderen übertragen. Bei Verletzungen soll als lokale Massnahme die Wunde ausgeblutet und desinfiziert werden (PVP-Jod, alkoholische Präparate). Gelangen Blutspritzer ins Auge, sollte dieses mit physiologischer Kochsalzlösung oder mit einem Desinfektionsmittel für Schleimhäute gespült werden. Passiert der Unfall in einem Spital oder in einer Pflegeeinrichtung, sollte die betreffende Person sofort den Personalarzt oder die Personalärztin bzw. die für diesen Fall bestimmte Medizinalperson aufsuchen. Die zuständige Medizinalperson wird zunächst eine Risikoabschätzung vornehmen, d.h. in erster Linie abklären, ob jener Mensch, der als mögliche Infektionsquelle in Frage kommt, HIV-infiziert ist oder nicht. Falls die Person tatsächlich HIV-positiv ist, so ist eine Übertragung wahrscheinlicher, wenn sie sich eben erst angesteckt hat oder an einer ausgeprägten Abwehrschwäche leidet. Ausserdem hängt das Übertragungsrisiko entscheidend von der Art der Verletzung ab. Auf Grund statistischer Erhebungen ist mit einer Übertragung auf etwa 300 Stichverletzungen mit infektiösen Nadeln zu rechnen. Falls eine mögliche HIV-Übertragung nicht weitgehend ausgeschlossen werden kann, wird oft sofort eine Kombinationsbehandlung gegen HIV begonnen. Ergeben die weiteren Abklärungen, dass die Indexperson – also jene Person, von der das mögliche Infektionsrisiko ausging – nicht HIV-infiziert ist, wird die Behandlung abgebrochen, im andern Fall über zwei bis vier Wochen durchgeführt. Der rasche Behandlungsbeginn ist entscheidend: Eine HIV-PEP, die später als 72 Stunden nach der möglichen Übertragung einsetzt, ist wahrscheinlich sinnlos. Ergebnisse von Untersuchungen an Tiermodellen zeigen, dass eine HIV-PEP weniger wirksam ist, wenn sie später als 24 Stunden nach dem Ereignis begonnen und während lediglich zweier anstelle von vier Wochen durchgeführt wurde.


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Im Medizinalbereich ist eine Übertragung dann möglich, wenn sich z.B. jemand mit einer HIV-infizierten Nadel sticht oder (ganz selten) wenn ein -Blutspritzer ins Auge gelangt.


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Weitere nützliche Informationen zur HIV-PEP sind auch unter www.hivpep.ch abrufbar.



Die HIV-PEP ausserhalb des Medizinalbereiches

Es ist anzunehmen, dass eine HIV-PEP auch nach Geschlechtsverkehr bzw. einem Nadeltausch mit HIV-Übertragungsrisiko wirksam ist. Die entscheidenden Fragestellungen sind die gleichen wie bei einer möglichen HIV-Exposition im Medizinalbereich.

Im sexuellen Bereich sind lokale Massnahmen wenig geeignet, um eine Infektion zu verhindern. Es ist aber denkbar, dass sie das Risiko einer HIV-Übertragung etwas vermindern. Nach Vaginalverkehr wird gelegentlich die Durchführung einer Scheidendusche, nach Analverkehr ein Einlauf mit einem Desinfektionsmittel für Schleimhäute (mit geeigneter Pufferlösung) empfohlen. Wichtig ist aber, dass es dabei nicht zu Verletzungen der Schleimhaut kommt. Wenn Blut oder Samenflüssigkeit auf die Mund- oder Nasenschleimhaut oder auf die Bindehaut des Auges gelangen, soll mit reichlich Wasser gespült werden. Finden sich die erwähnten Körperflüssigkeiten auf verletzter äusserer Haut, empfehlen sich das Waschen mit Wasser und Seife und das Reinigen mit Desinfektionsmitteln.

Für die Risikoabschätzung ist es entscheidend, zu wissen, ob der Mensch, der als mögliche Infektionsquelle in Betracht kommt, tatsächlich HIV-infiziert ist oder nicht. Ungeschützter Sexualverkehr und Nadeltausch mit einer HIV-positiven Person haben ein ähnliches Risiko wie eine Stichverletzung mit HIV-infiziertem Blut; es beträgt – bei einem grossen Streubereich – im Durchschnitt (wie oben erwähnt) etwa 1 auf 300. Das HIV-Infektionsrisiko bei einer Verletzung an einer herumliegenden Fixernadel ist demgegenüber verschwindend klein (siehe Kapitel 2.2 Ende).


Die Aufnahme einer HIV-PEP wird erwogen bei:

ungeschütztem analem oder vaginalem Geschlechtsverkehr,

ungeschütztem oralem Geschlechtsverkehr mit Ejakulation oder -während der Menstruationsblutung oder

Spritzen-/Nadeltausch, wenn der Indexpartner oder die Indexpartnerin sicher oder zumindest sehr wahrscheinlich HIV-positiv ist.


Wenn es nicht sicher ist, ob die Indexperson HIV-negativ ist, soll man sie motivieren, sofort einen HIV-Test durchführen zu lassen.


Menschen, die eine HIV-PEP durchführen, sollen sich bewusst sein, dass das Risiko einer Ansteckung zwar vermindert, aber nicht aufgehoben wird. Eine HIV-PEP kann Safer Sex und Safer Use (siehe Kapitel 1.2) also nicht ersetzen. Da bei der HIV-PEP die gleichen Medikamente wie bei der Behandlung der HIV-Infektion eingesetzt werden, sind grundsätzlich die gleichen Nebenwirkungen zu erwarten (siehe Kapitel 2.4). Bei einzelnen Medikamenten muss angenommen werden, dass sie eine schädliche Wirkung auf Embryo und Fötus haben, z.B. bei Efavirenz oder Amprenavir. Sie dürfen darum bei möglicher oder gesicherter Schwangerschaft nicht eingesetzt werden. Bei anderen Medikamenten ist eine schädliche Wirkung nicht ausgeschlossen.


Vorsichtsmassnahmen

Nach wie vor sollen alle Vorkehrungen getroffen werden, um eine HIV-Übertragung zu verhindern (Einhaltung der Hygienevorschriften, Optimierung der Abläufe am Arbeitsplatz, Safer Sex, Safer Use). Falls trotzdem eine Risikosituation eintritt, empfiehlt es sich, mit einem Arzt oder einer Ärztin zu sprechen. Es geht dabei nicht nur um die Abschätzung des Risikos einer Übertragung von HIV, sondern auch von anderen Erregern wie Hepatitis-Viren (siehe Kapitel 5.6) oder Erregern von Geschlechtskrankheiten – bei Stichverletzungen durch herumliegende Fixernadeln zusätzlich um das Starrkrampf-Bakterium (siehe Kapitel 2.2).

Darüber hinaus sollen aber auch die Umstände eruiert werden, die zur Situation geführt haben. Vielleicht riss z.B. ein Präservativ wegen:


schlechter Qualität (kein Gütesiegel),

falscher Lagerung (zu heiss),

überschrittenen Verfalldatums,

unsorgfältigen Auspackens,

fetthaltigen Gleitmittels,

fehlenden Reservoirs für die Samenflüssigkeit.


Der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin sollte in jedem Fall mit einem HIV-Behandlungszentrum in Verbindung treten. Damit über die HIV-PEP genauere Erkenntnisse gewonnen werden können, müssen zu allen Fällen, in denen eine HIV-PEP verschrieben wird, anonymisierte Fragebogen ausgefüllt werden. Die Kosten für die HIV-PEP werden je nach Risikosituation entweder von der obligatorischen Unfall- oder von der Krankenversicherung übernommen.

Genauere Angaben über die HIV-PEP finden sich in folgenden Publika-tionen:


Vorläufige Empfehlungen zur HIV-Post-Expositions-Prophylaxe ausserhalb des Medizinalbereichs, BAG-Bulletin 50/97 vom 22.12.97.

Verhütung blutübertragbarer Infektionen im Gesundheitswesen, Bestellnummer 2969/30.d, Suva, Arbeitsmedizin, Postfach, 6002 Luzern

Merkblatt für nicht-medizinisches Beratungspersonal, Aids-Hilfe Schweiz, Postfach 1118, 8031 Zürich, 01 447 11 11

Aktualisierte Empfehlungen 2002 zur beruflichen Exposition mit Blut oder biologischen Flüssigkeiten der Fachkommission Klinik und Therapie HIV/AIDS, BAG-Bulletin 10/02 vom 4.3.02


Verletzung durch Nadeln an öffentlichen Orten

Es kommt vor, dass gebrauchte Spritzen und Nadeln von drogenabhängigen Menschen am Ort des Konsums zurückgelassen werden. Führen solche Spritzen zu Nadelstichverletzungen, löst das oft grosse Besorgnis aus, obwohl weltweit kein einziger Fall einer HIV-Übertragung durch herumliegende Spritzen und Nadeln dokumentiert ist. Eine HIV-PEP wird grundsätzlich nicht empfohlen. Die pädiatrische AIDS-Gruppe Schweiz (PAGS) und die Subkommission Klinik der Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen (BAG-Bulletin 17/01 vom 23.4.01) empfehlen hingegen, einen Arzt/eine Ärztin aufzusuchen, um:


die Umstände (Ort, Zeit, Zustand der Spritze) und Art der Verletzung zu dokumentieren. Es ist meistens nicht nötig, die Spritze sicherzustellen. Auch ist es nicht sinnvoll, wenn das Material Laboruntersuchungen unterzogen wird;

eine Auffrischimpfung gegen Starrkrampf (Tetanus) durchzuführen, falls die letzte Impfung mehr als fünf Jahre zurückliegt, bzw. um die Grund-immunisierung bei Kindern mit noch unvollständigem Impfschutz zu vervollständigen;

Ausgangs- und Folgeuntersuchungen bezüglich der drei Viren HIV, Hepatitis B und Hepatitis C durchzuführen;

bei Menschen, die noch nicht gegen Hepatitis B geimpft worden sind, eine aktive Impfung gegen Hepatitis B einzuleiten, bzw. bei bereits geimpften Menschen, falls notwendig, eine Auffrischimpfung durchzuführen;

Menschen, bei denen anlässlich der Nachkontrollen eine akute Hepatitis C festgestellt wird, eine Therapie mit Interferon anzubieten.



2.3 Kombinationsbehandlung


Seitdem bekannt ist, dass HIV für die Entstehung von Aids verantwortlich ist, sucht die Forschung nach spezifischen Anti-HIV-Wirkstoffen. Ziel dieser Forschung ist es, Substanzen zu finden, die die Vermehrung des HI-Virus im Körper hemmen, ohne dabei körpereigene Prozesse zu stören. Als Resultat steht heute eine Reihe von Medikamenten gegen HIV zur Verfügung. Sie gehören zur Klasse der Hemmer der Fusion mit der Zelle, Hemmer der Reversen Transkriptase oder der Hemmer der Protease. Eine Reihe weiterer Substanzen, die die Vermehrung des HI-Virus an unterschiedlichen Punkten hemmen, befinden sich in klinischen Prüfungen (siehe Kapitel 3.2).


Vorteile der Medikamente gegen HIV

Studien belegen, dass die beste Wirkung erzielt wird, wenn schon bei der ersten Behandlung, also bei so genannt therapienaiven Patienten und Patientinnen, mindestens drei der zur Verfügung stehenden Medikamente gleichzeitig eingenommen werden. Welche Kombination unter welchen Bedingungen die beste Wirkung zeigt, ist noch nicht restlos geklärt und Gegenstand von klinischen Studien. Grundsätzlich kann aber von einer medikamentösen Therapie gegen HIV Folgendes erwartet werden:


verringerte Virusmenge im Blut (Abnahme des Viral Load)

zumindest stabilisierte, meistens aber verbesserte Immunitätslage (Stabilisierung oder Zunahme des CD4-Wertes)

längeres Leben ohne Aids definierende Erkrankungen

vermindertes Risiko, an einer HIV-Demenz zu erkranken

höhere Lebenserwartung



Nachteile der Medikamente gegen HIV

Die medikamentöse Therapie kann aber auch nachteilige Folgen haben. Alle bisher bekannten Medikamente gegen HIV haben Nebenwirkungen. Viele sind relativ mild oder vorübergehend. Gelegentlich sind die Nebenwirkungen einer bestimmten Substanz aber auch so schwer, dass die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigt ist und die Therapie mit diesem Medikament abgebrochen werden muss. Da heute verschiedene Medikamente gegen HIV zur Verfügung stehen, kann ein Medikament in der Regel durch ein anderes ersetzt werden. Die Unverträglichkeit eines Medikamentes bedeutet nicht, dass gar keine Behandlung möglich ist.

Auf die spezifischen Nebenwirkungen der einzelnen Wirkstoffe wird in Kapitel 2.4 eingegangen; hier nachfolgend finden sich Ausführungen zu grundsätzlicheren Problemen im Zusammenhang mit einer Kombinationstherapie gegen HIV.


Stoffwechselstörungen (u.a. Lipodystrophie)

Mittel- bis längerfristig werden unter einer Kombinationsbehandlung gegen HIV öfters Stoffwechselstörungen, in erster Linie Hyperlipidämien (= erhöhte Blutfettwerte) beobachtet, die in einem Syndrom zusammengefasst werden, das noch nicht genau definiert ist. Dabei stellt die Fettumverteilung (= Lipodystrophie) eine auch äusserlich sichtbare Erscheinung dar. Als Ursache des Syndroms wird zurzeit vermutet, dass sich Auswirkungen von zwei verschiedenen Vorgängen überschneiden.

Nukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase können Mitochondrien beeinträchtigen (siehe nachfolgenden Abschnitt «Mitochondriale Toxizität»). Dies kann zu einer Störung der Leberfunktion, einer Steigerung des Fettabbaus (v.a. im Gesicht, an den Armen und Beinen), einer Zunahme der Blutfettwerte und Milchsäurekonzentration im Blut (Hyperlaktatämie bis Laktazidose) und zu einer Schädigung von Nervenzellen führen.

Hemmer der Protease können zu einer Erhöhung der Blutfettwerte einschliesslich des Cholesterinspiegels (Hyperlipidämie) führen sowie zu einer Erhöhung des Zuckerspiegels im Blut im Sinne einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus) wegen ungenügender Insulinwirkung. Äusserlich können Teile dieses Vorgangs in Fetteinlagerungen in Nacken, Brust und Bauch sichtbar werden.


Hyperlipidämien (= erhöhte Blutfettwerte) können grundsätzlich angeboren sein (so genannte primäre Formen) oder durch besondere Umstände erworben werden (so genannte sekundäre Formen). Eine erworbene Hypertriglyzeridämie (= erhöhte Triglyzeridwerte im Blutplasma) beobachtet man zum Beispiel bei ausgeprägter Fettleibigkeit, übermässigem Alkoholkonsum und ungenügender Behandlung einer Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), einer Hypercholesterinämie (= erhöhte Cholesterinwerte im Blutplasma), u.a. bei gestörtem Galleabfluss (aus der Leber in den Zwölffingerdarm), mangelndem Schilddrüsenhormon, gelegentlichen Nebenwirkungen von Medikamenten.

Hyperlipidämien begünstigen die Entstehung der Arteriosklerose (Gefässverhärtung), die eine Herz- oder Hirngefässerkrankung verursacht und damit zu einem Herzinfarkt beziehungsweise einem Hirnschlag führen kann.


Es gibt eine Reihe weiterer Risikofaktoren bezüglich der Beschleunigung der Arteriosklerose.


Nicht beeinflussbare Risikofaktoren: familiäre Belastung, höheres Alter und männliches Geschlecht

Beeinflussbare Risikofaktoren: Nikotinkonsum, Bluthochdruck (arte-rielle Hypertonie), Zuckerkrankheit, Fettleibigkeit, Hypercholesterinämie, Hypertriglyzeridämie, Bewegungsmangel, Östrogenmangel bei Frauen nach der Menopause usw.


Um die Ausbildung der Arteriosklerose zu verzögern, müssen möglichst viele Risikofaktoren ausgeschaltet werden. Vielleicht gelingt es, den Niko--tin-konsum im Rahmen eines Programms dauernd einzustellen. Mit Diät und Medikamenten lassen sich Bluthochdruck und Zuckerkrankheit meistens gut beherrschen. Bei den sekundären Hyperlipidämien geht es darum, allen möglichen Ursachen Beachtung zu schenken. Im Falle einer Hyper-triglyzeridämie bedeutet das vielleicht eine Verminderung des Alkohol-konsums. Wichtig wird allenfalls auch die Umstellung der Ernährung, idealerweise unter Beizug einer Ernährungsberatung. Bei Fettleibigkeit steht vorerst die Gewichtsreduktion durch Verminderung der Energie-aufnahme im Vordergrund. Das Cholesterin kann grundsätzlich gesenkt werden durch verminderte Zufuhr von gesättigten Fettsäuren (wie sie sich vor allem in tierischen Fetten und in Kokos- und Palmfett finden), vermehrte Einnahme pflanzlicher Sterole (wie sie z.B. in mit Phytosterol angereicherter Margarine vorliegen) und sportliche Betätigung.

Das Einhalten einer cholesterinarmen Diät erfordert viel Disziplin und ist leider oft wenig erfolgreich. Die extreme Einschränkung der Cholesterinzufuhr lohnt sich auch deshalb nicht, weil dann die körpereigene Cholsterinsynthese stimuliert wird, besonders bei reichlicher Einnahme von Kohlehydraten. So muss denn häufig eine Behandlung mit lipidsenkenden Medikamenten in Betracht gezogen werden. Je nach Art der Hyperlipidämie werden Substanzen aus verschiedenen Stoffklassen (Ionenaustauscher, Fibrate, Statine, Nikotinsäurepräparate) einzeln oder kombiniert eingesetzt. Aber auch diese Substanzen sind nicht immer ohne Nebenwirkungen.

Bei Patienten und Patientinnen mit optimal unterdrückter Virusvermehrung unter einer Kombinationsbehandlung einschliesslich eines ersten Hemmers der Protease kann der Wechsel («switch») vom Hemmer der Protease auf Nevirapin oder – unter ganz bestimmten Bedingungen – auf Abacavir (siehe Kapitel 2.4) zu einer Verbesserung oder gar Normalisierung der Cholesterinwerte führen. Der allenfalls vorliegende Fettschwund im Gesicht, am Gesäss oder an Armen und Beinen wird dadurch in der Regel aber nicht merklich rückgängig gemacht. Studien zeigen, dass der Viral Load günstig bleibt, sich der virologische Behandlungserfolg also fortsetzt. Eine Umstellung ist darum für Menschen mit HIV eine sorgfältig zu erwägende Option.

Bei der medikamentösen Behandlung der Hypercholesterinämie bei Menschen mit HIV unter einer Kombinationsbehandlung mit einem Hemmer der Protease (oder allenfalls auch einem nicht nukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase) bedarf es besonderer Vorsicht. Die Statine (eine Klasse von Medikamenten, die den Blutfettwert senken) bewirken in der Regel eine Verminderung des Cholesterin- (und des Triglyzerid-)Spiegels und damit des Risikos arteriosklerotischer Veränderungen. Die meisten werden in der Leber auf ähnlichem Wege wie die Hemmer der Protease und die nichtnukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase) abgebaut. Dadurch kann die Konzentration von Statinen im Blutplasma manchmal so stark zunehmen, dass Nebenwirkungen (Muskel- und Nervenschädigungen) häufiger und ausgeprägter auftreten.

Stoffwechselstörungen in Zusammenhang mit einer Kombinationsbehandlung gegen HIV stellen ein Problem dar, dessen Bedeutung sich gegenwärtig nur schwer abschätzen lässt. Auf der Grundlage von Analysen einer bei Menschen ohne HIV durchgeführten Langzeitstudie über Risikofaktoren bezüglich Herz- und Kreislaufleiden geht man zurzeit davon aus, dass eine «klassische» Kombinationsbehandlung gegen HIV über einen Zeitraum von 10 Jahren bei 1 bis 2% der Menschen zu arteriosklerotischen Veränderungen im Bereich der Herzkranzgefässe führen könnte, die von erheblicher Bedeutung sind. Ob diese Voraussage zutrifft, wird in einer Studie überprüft, in der über Jahre fortlaufend anonyme Daten zu unerwünschten, das Herz und den Kreislauf betreffenden Ereignissen bei Menschen mit einer Kombinationsbehandlung gegen HIV aus vielen Ländern gesammelt werden.



Mitochondriale Toxizität

Mitochondrien sind Strukturen im Zellplasma, deren Aufgabe es ist, durch die Oxidation von Nährstoffen Energie zu erzeugen und Rohstoffe für den Aufbau von Eiweissen und anderen Molekülen bereitzustellen. Sie enthalten Desoxyribonukleinsäure (DNS) – wie das menschliche Erbgut im Zellkern – und so genannte Ribosomen aus Ribonukleinsäure (RNS), an denen der Eiweissaufbau erfolgt.

Je nach Aufgabe einer Zelle finden sich in ihr einige wenige bis Hunderte von Mitochondrien. Besonders reich an Mitochondrien sind zum Beispiel Muskel-, Leber-, Fett- und Nervenzellen, die einen grossen Energiebedarf haben.

Um sich zu vermehren, fügt das HI-Virus sein Erbgut ins Erbgut der Zelle ein. Dieses ist aus DNS aufgebaut, während das Viruserbgut aus RNS besteht. Deshalb muss das Viruserbgut zuerst in DNS umgeschrieben werden, damit es ins Erbgut der Zelle eingefügt werden kann. Das macht die Reverse Transkriptase, ein HIV-eigenes Enzym.

Hemmer der Reversen Transkriptase nennt man nukleosidanalog, wenn sie den DNS-Bausteinen (also den Nukleosiden) chemisch verwandt sind.

Bei Menschen, die nukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase einnehmen, fügt die Reverse Transkriptase beim Umschreiben von RNS in DNS öfters die in den Medikamenten enthaltenen statt die natürlichen Bausteine ein, wodurch der Umschreibevorgang abgebrochen wird. Das Viruserbgut wird dann nicht ins Erbgut der Zelle eingefügt.

Nun ist es so, dass auch die Zelle und ihre Mitochondrien ein Enzym haben, das DNS-Bausteine aneinander fügt, nämlich die so genannte DNS-Polymerase. Sie ist nötig, um DNS zu kopieren, zum Beispiel im Hinblick auf Teilungsvorgänge. Unglücklicherweise baut auch sie manchmal zugeführte Nukleosidanaloga statt natürliche Nukleoside als Bausteine ein, was den Kopiervorgang abbricht.

Die DNS-Polymerase der Mitochondrien greift viel schneller zu den nukleosidanalogen Bausteinen als die DNS-Polymerase der Zelle. Die DNS der Mitochondrien verfügt zudem – im Gegensatz zur DNS der Zellen – über keinen Reparaturmechanismus. Darum scheint es mit der Zeit zu schwer wiegenden mitochondrialen Störungen zu kommen. Man spricht von mitochondrialer Toxizität einzelner Partner einer Kombinationsbehandlung gegen HIV.

Die Nebenwirkungen der einzelnen nukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase sind unterschiedlich bezüglich Häufigkeit, Bedeutung und der betroffenen Organe (siehe Kapitel 2.4). Bei der mitochondrialen Toxizität handelt es sich nicht um eine neue Nebenwirkung, sondern um den Versuch, bekannte Nebenwirkungen zu erklären.



Wechselwirkungen von Medikamenten

Hemmer der Protease und die nichtnukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase führen gelegentlich zu schwer wiegenden Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen (zugelassene Medikamente, in der Schweiz nicht registrierte Präparate, illegale Drogen, legale pflanzliche Extrakte usw.), die in der Leber auf gleichen oder ähnlichen Wegen (v.a. durch das Enzym 3A4 des Zytochrom-P450-Systems) abgebaut werden. Das kann dazu führen, dass sowohl das Medikament gegen HIV als auch der andere Wirkstoff eine zu tiefe oder eine zu hohe Konzentration im Körper erreicht. Zu hohe Konzentrationen verursachen häufig Nebenwirkungen. Zu tiefe Konzentration bedeutet eine verminderte Wirksamkeit und im Falle der Medikamente gegen HIV auch die Gefahr der Entwicklung resistenter Viren. Besondere Beachtung erfordern selbstverständlich auch die Wechselwirkungen zwischen den Partnern einer Kombinationsbehandlung gegen HIV.

Selten muss der Beginn einer Kombinationsbehandlung gegen HIV zurückgestellt werden, bis eine Begleit- oder Folgeerkrankung, z.B. eine Tuberkulose, beherrscht wird.

Das HI-Virus kann gegen jede bisher eingesetzte Substanz unempfindlich (resistent) werden. Sie verliert damit ganz oder zumindest teilweise ihre Wirksamkeit. Die Substanz kann im weiteren Verlauf der HIV-Infektion nicht mehr oder – bei noch teilweise erhaltener Wirksamkeit – bestenfalls «zur Not» eingesetzt werden, wenn es gegen ein Virus keine optimal wirksamen Medikamente mehr gibt.

Aufgrund all dieser Schwierigkeiten sollte jede Einnahme von Wirkstoffen (zugelassene Medikamente, in der Schweiz nicht registrierte Präparate, illegale Drogen, legale pflanzliche Extrakte usw.) vorgängig mit dem Arzt oder der Ärztin besprochen werden.



Wie resistente Viren entstehen

Bei der Vermehrung des HI-Virus wird auch das Erbgut des Virus, sein «Bauplan», kopiert. Da sich bei diesem Kopiermechanismus immer wieder kleine Fehler einschleichen, entstehen aus den neuen Erbgutkopien leicht veränderte Viren. Man sagt, dass eine Mutation erfolgt sei. Die Mutationen können grundsätzlich das ganze Erbgut von HIV betreffen, also auch jene Bereiche, die den Bauplan für die Enzyme und Eiweisse enthalten, deren Funktion von den verfügbaren Medikamenten gegen HIV gehemmt werden (die Reverse Transkriptase, die HIV-Protease und das «heptad repeat one [HR1]» des gp41, der Teil eines aus der Virushülle herausragenden Eiweisses, mit dem sich die Fusions-Hemmer verbinden).

Eine Mutation kann zur Folge haben, dass ein Medikament, das die Tätigkeit eines Enzyms oder die Funktion einer Struktur bisher gehemmt hat, sich nur noch mässig oder überhaupt nicht mehr mit seinem Angriffspunkt verbinden kann.

Das Medikament verliert so teilweise oder ganz seine Wirkung. Das Virus ist gegen das Medikament resistent geworden.

Voraussetzung zur Entstehung von Resistenz-Mutationen ist ein Virus, das sich vermehrt, entweder ohne Behandlung oder unter einer nicht optimal wirksamen Behandlung. Schon vor Therapiebeginn vorhandene oder nach Behandlungsaufnahme entstandene resistente HIV-Varianten werden aber durch die Medikamente bevorteilt. Während sie sich ungehemmt vermehren können, sind andere, empfindliche Virusvarianten in ihrer Vermehrung durch die Medikamente blockiert. Nach und nach machen so die resistenten Virusvarianten die Mehrheit unter den HI-Viren aus.

Von Kreuzresistenz spricht man, wenn eine Variante entstanden ist, die gleichzeitig gegen mehrere Medikamente resistent ist. Dabei hat sich am gemeinsamen Angriffspunkt verschiedener Medikamente, z.B. der Protea-se, eine Veränderung ergeben.

Bei allen Medikamenten, die auf die Reverse Transkriptase, die Protease oder das gp41 abzielen, muss damit gerechnet werden, dass solche Resistenzen entweder entstehen oder bereits vorhanden sind. Ähnlich wie bei der Behandlung der Tuberkulose kann nur eine konsequent durchgeführte Kombinationstherapie mit mehreren Substanzen mit unterschiedlichen Angriffspunkten verhindern, dass Resistenzen entstehen, oder deren Entwicklung zumindest verzögern.



Empfehlungen und Standardtherapien


Die Behandlung der HIV-Infektion wurde in den letzten Jahren stetig verbessert. Noch vor wenigen Jahren war die erste Therapie in der Regel die Einnahme von AZT alleine, worauf ein Wechsel auf ddI oder ddC folgte. Ab September 1995, nach dem Bekanntwerden der Ergebnisse grosser internationaler Studien, galt die Kombination von AZT und ddI oder AZT und ddC und bald darauf AZT und 3TC als Standard. Neue Erkenntnisse über die Geschwindigkeit der Virusvermehrung und die Wandelbarkeit des Viruserbgutes erklären, im Nachhinein, warum es auch mit Zweierkombinationen praktisch nie gelungen war, die Virusvermehrung über längere Zeit stark zu hemmen.


Die Einführung der Hemmer der Protease und der nichtnukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase brachte 1996 beziehungsweise 1998 eine entscheidende Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten.


Seither setzt sich die Standardtherapie aus zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase sowie einem Hemmer der Protease oder einem nichtnukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase zusammen. Bei Patienten, die gewisse Voraussetzungen erfüllen, erweist sich auch die Kombination mit den drei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase AZT, 3TC und Abacavir über längere Zeit als wirksam.

Seit dem Jahr 2000 werden Menschen häufig mit zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase und «zwei» Hemmern der Protease – meistens einer kleinen Dosis Ritonavir und einem anderen Hemmer der Protease – behandelt. Dabei werden die Wechselwirkungen zwischen den beiden Hemmern der Protease gezielt ausgenutzt, um die Wirkstoffspiegel der einen Substanz anzuheben. Dadurch werden bei reduzierter Dosis und verlängertem Dosierungsintervall wirksamere Serumspiegel erreicht.

Wenn die Standardtherapien bei einem Patienten oder einer Patientin ungenügend wirken, werden einzelne oder mehrere Wirkstoffe aus allen drei Substanzklassen und – nach Möglichkeit – auch ein Fusions-Hemmer gleichzeitig eingesetzt. Man spricht dann von einer Salvage-Therapie («Rettungstherapie»).


ART meint, dass eine «Anti-Retroviral Therapy», also eine Behandlung gegen das zu den Retroviren gehörende HIV, durchgeführt wird. Unter HAART (= «Highly Active Anti-Retroviral Therapy») verstehen die einen jede Dreierkombination, die anderen Kombinationsbehandlungen gegen HIV einschliesslich eines Hemmers der Protease oder eines nichtnukleo-sidanalogen Hemmers der Reversen Transkriptase. Wenn – wie das im Rahmen der Salvage-Therapie etwa geschieht – mehr als fünf Substanzen gebraucht werden, nennen dies Einzelne Mega-HAART.



Behandlungsziel

Das Ziel einer Kombinationsbehandlung gegen HIV ist die anhaltende und vollständige Unterdrückung der HIV-Vermehrung in allen Flüssigkeiten und Geweben des Körpers. Ein Mass dafür, wie nahe das Ziel liegt, stellt der Viral Load dar.


Überlegungen

Eine Kombinationsbehandlung gegen HIV basiert auf folgenden Überlegungen:

Die andauernde HIV-Vermehrung führt zu einer zunehmenden Abwehrschwäche und schliesslich zu Aids. Die HIV-Infektion ist grundsätzlich immer bedrohlich.

Der Viral Load sagt etwas über das Ausmass der HIV-Vermehrung und damit etwas über die Geschwindigkeit des Verlaufs aus.

Der CD4-Wert deutet auf das Ausmass der bereits eingetretenen Abwehrschwäche hin.

Eine wirksame Kombinationsbehandlung gegen HIV führt zu einer Hemmung der HIV-Vermehrung. Dadurch wird die Zerstörung des Immunsystems gebremst. Das Immunsystem kann sich weitgehend erholen, und eine Erkrankung an Aids wird verhindert oder zumindest deutlich hinausgeschoben.

Eine optimal wirksame Kombinationsbehandlung gegen HIV vermindert die Wahrscheinlichkeit, dass resistente HIV-Varianten entstehen.


Folgerungen

Die regelmässige Bestimmung von Viral Load und CD4-Wert ist wichtig, um die Wirksamkeit einer Kombination gegen HIV abzuschätzen.

Ein gleichzeitiger Beginn mit allen in einer vorbestimmten Kombinationsbehandlung gegen HIV eingesetzten Medikamenten gewährleistet am ehesten die angestrebte anhaltende und vollständige Unterdrückung der HIV-Vermehrung.

Alle Medikamente müssen in den vorgeschriebenen Intervallen und Dosierungen eingenommen werden.

Selbst wenn der Viral Load unter der Nachweisgrenze liegt, sind HIV-positive Menschen grundsätzlich ansteckend, sodass die Präventionsmassnahmen nicht hinfällig werden.



Offene Fragen


Viele Fragen sind jedoch auch heute noch nicht restlos geklärt. Sie betreffen in erster Linie den optimalen Einsatz der vorhandenen Medikamente: Wann soll mit einer Behandlung begonnen werden? Mit welcher Kombination von Medikamenten soll zunächst behandelt werden? Auf welche Kombination kann im Falle eines Versagens der ersten Kombination gewechselt werden? Unter welchen Bedingungen kann eine über Jahre wirksame Kombinationstherapie gegen HIV vereinfacht oder gar vorübergehend abgesetzt werden?


Zeitpunkt des Therapiebeginns

Der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer Therapie gegen HIV ist nicht bekannt. Grundsätzlich sollte jeder Mensch mit einer HIV-Infektion behandelt werden. Weil mit den heutigen Therapiemöglichkeiten nicht in allen Fällen eine vollständige Unterdrückung der Virusvermehrung erreicht wird, stellt die Behandlung – damit sie erfolgreich ist – ausserordentliche Anforderungen an die Adherence (= Therapietreue, siehe Abschnitt «Adherence» in diesem Kapitel). Zudem muss bei der Behandlung – wie oben ausgeführt – mit zum Teil nicht unerheblichen mittel- bis langfristigen Nebenwirkungen gerechnet werden. Daher scheint es vertretbar, bei Menschen mit günstigen Laborwerten mit einer Behandlung zuzuwarten und den weiteren Verlauf zu beobachten.

Die Subkommission Klinik der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen riet in ihren Empfehlungen zur antiretroviralen HIV-Therapie 2001 (Bulletin des Bundesamtes für Gesundheit, Nummer 51/00 vom 28.12. 2000) zur Aufnahme einer Kombinationsbehandlung gegen HIV, wenn der CD4-Wert unter 350 fällt, wenn er bei einem Viral Load von mehr als 50000 zwischen 350 und 500 liegt oder wenn Krankheiten auftreten, die dem CDC-Stadium B oder C (siehe Kapitel 1.3) zugeordnet werden können.

Viele Experten sind heute noch zurückhaltender und sprechen sich dafür aus, eine Therapie erst dann zu beginnen, wenn es sich abzeichnet, dass der CD4-Wert demnächst unter 200 Zellen pro Mikroliter Blut abfallen wird.

Weil die Kombinationsbehandlung gegen HIV eine gute Adherence voraussetzt, soll eine Therapie grundsätzlich erst dann aufgenommen werden, wenn der Patient oder die Patientin dazu wirklich bereit ist.


Dauer der Behandlung

Die Frage, ob eine über lange Zeit wirksame Kombinationsbehandlung gegen HIV einmal abgesetzt werden kann, muss zum jetzigen Zeitpunkt verneint werden. Wer eine Behandlung beginnt, muss davon ausgehen, dass er diese mit den heute verfügbaren Mitteln über Jahrzehnte durchführen wird.

Bei einigen Menschen, deren Viral Load unter einer Kombinationsbehandlung gegen HIV seit mehr als zwei Jahren unter der Nachweisgrenze von 20 HIV-Erbgutkopien pro Milliliter Blutplasma gelegen hatte, wurde eine HIV-Vermehrung von sehr geringem Ausmass nachgewiesen. Man fand auch ruhende1 CD4-Zellen, in deren Erbgut jenes des HIV integriert ist. Es handelt sich dabei um sehr langlebige Zellen mit einer Halbwertszeit von mindestens zwei Jahren. Das ins Erbgut dieser CD4-Zellen eingefügte HIV-Erbgut war vermehrungsfähig und wies gegenüber dem Erbgut des Virus, welches vor der Behandlung im Blut vorlag, keine Veränderungen auf. Die lange Lebenszeit der ruhenden CD4-Zellen bedeutet, dass sich die HI-Viren auch durch eine anhaltend wirksame Kombina-tionsbehandlung während einiger Jahrzehnte nicht vollständig eliminieren lassen. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass das Immunsystem in Zukunft z.B. durch Impfungen befähigt werden kann, eine kleine Zahl dieser Zellen bzw. die daraus freigesetzten Viren zu beherrschen, wenn die Behandlung nach Jahren abgesetzt wird. Es ist auch denkbar, die CD4-Zellen durch so genannte Zytokine (siehe Kapitel 3.3) zu aktivieren, in der Hoffnung, deren Halbwertszeit auf diese Weise deutlich zu verkürzen. Aber auch hier bleiben noch viele Fragen offen.


Die Behandlung ist für viele Patienten und Patientinnen in letzter Zeit einfacher geworden.


Aufgrund von Neuentwicklungen (z.B. Tenofovir, Atazanavir), neuen Formulierungen (z.B. Fosamprenavir, Combivir®, Trizivir®, Videx EC® oder Zerit XR®) und durch die Ausnutzung von Wechselwirkungen zwischen den eingesetzten Substanzen (Kaletra® und andere Ritonavir-geboostete Hemmer der Protease) müssen eine geringere Anzahl von Tabletten weniger häufig eingenommen werden. Man darf hoffen, dass diese Entwicklung anhält. Zurzeit scheint es aber nicht möglich, die Behandlung dadurch zu vereinfachen, dass statt drei nur zwei Wirkstoffe eingenommen werden.


Therapiepausen

Wer eine Kombinationsbehandlung gegen HIV durchführt, muss sich unbedingt an die Vorschriften halten, weil sonst der Anstieg des Viral Load, der Abfall des CD4-Wertes und die Entstehung und die Ausbreitung von resistenten HIV-Varianten drohen.

In Studien geht man gegenwärtig der Frage nach, wie es sich verhält, wenn eine über lange Zeit konsequent eingesetzte und wirksame Kombinationsbehandlung gegen HIV vorübergehend vollständig unterbrochen wird. Ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, Therapiepausen («Drug Holidays») einzuschalten, ohne dass das Immunsystem weiter geschädigt wird? Verbessern Therapiepausen unter bestimmten Bedingungen sogar die Immunantwort gegen HIV, sodass die Medikamente dauerhaft abgesetzt werden können? Werden dabei auch die mittel- und langfristigen Nebenwirkungen günstig beeinflusst, zum Beispiel die Lipodystrophie?


Therapiepause ist nicht gleich Therapiepause! Bei den so genannten strukturierten, also gut kontrollierten und genau festgelegten Therapieunterbrüchen (Structured Therapy Interruptions = STI) müssen -folgende unterschiedliche Ausgangslagen auseinander gehalten werden:

1. Menschen, die eine Behandlung gegen HIV während der akuten HIV-Infektion (auch: Primoinfektion) aufnahmen und seither mit Erfolg durchführen.

2. Menschen, die eine Behandlung gegen HIV nach der akuten HIV-Infektion einsetzten und seither mit Erfolg durchführen.

3. Menschen, die – unabhängig vom Zeitpunkt des Behandlungsbeginns – eine Behandlung durchführen, die sich als virologisch unwirksam erweist, also den HI-Viral-Load nicht entscheidend zu senken vermag.

Eine von vielen Schwierigkeiten stellt der Umstand dar, dass die gegen HIV eingesetzten Wirkstoffe unterschiedliche Halbwertszeiten aufweisen, also verschieden schnell abgebaut werden. Das bewirkt, dass einzelne Substanzen im Körper noch Konzentrationen aufweisen, welche die Vermehrung von HIV hemmen, während andere in unwirksamen Konzentrationen vorliegen. Die Behandlung mit nur einem oder zwei – in genügenden Konzentrationen vorhandenen – Wirkstoffen begünstigt jedoch die Entstehung und die Ausbreitung von unempfindlichen HIV-Varianten.


Bei der ersten Gruppe ist es denkbar, dass der wiederholte Therapieunterbruch bzw. die zeitlich begrenzte und mehrmals wiederholte Herausforderung des Immunsystems durch das Virus zu einer verstärkten Immunreaktion gegen HIV führt.

Sicherer als wiederholte Therapiepausen ist die mehrmals wiederholte Herausforderung des Immunsystems durch einen Impfstoff bei optimal wirksamer Behandlung. Entsprechende Studien sind geplant.


Am meisten Erfahrung gibt es bei Patienten und Patientinnen aus der zweiten Gruppe. Die Ergebnisse erster Studien sind enttäuschend. Bei jeder Pause kommt es meistens 1–2 Wochen nach dem Absetzen zum Wiederanstieg der Viruskonzentration im Blut – das Immunsystem kann so nicht gestärkt werden. Aktuelle Studien untersuchen jedoch die Frage, ob durch strukturierte Therapieunterbrüche derselbe Therapieerfolg wie bei einer fortgesetzten Behandlung erzielt und dabei Kosten gespart und Nebenwirkungen vermieden werden können.


Eine ganz andere Situation liegt bei jenen Menschen vor, die zur dritten Gruppe gehören, bei denen HIV-Varianten vorliegen, die gegenüber den eingesetzten Wirkstoffen resistent sind. Hier schwingt bei Therapieunterbrüchen die Hoffnung mit, dass sich das empfindliche – aber offenbar auch vermehrungsfähigere – Wildtyp-HIV gegenüber den resistent gewordenen Varianten wieder durchsetzt. Diese Hoffnung erfüllt sich leider häufig nicht oder aber der Erfolg ist nur von kurzer Dauer. Zudem stellt sich bei einem Therapieunterbruch in dieser Lage nicht selten auch ein deutlicher Abfall des CD4-Wertes ein.

Von unkontrollierten Therapiepausen ausserhalb von Studien wird abgeraten.


Zusammensetzung einer Kombinationsbehandlung

Die optimale Zusammensetzung der Medikamente für den Beginn einer Kombinationstherapie ist nicht bekannt. Die Vielzahl von Medikamenten lässt eine grosse Anzahl von Kombinationen zu.

Eine Kombinationsbehandlung setzt sich heute in der Regel aus zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase und entweder einem Hemmer der Protease oder einem nichtnukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase zusammen. Oft wird zusätzlich zum Hemmer der Protease Ritonavir als Booster eingesetzt. Dabei werden Wechselwirkungen zwischen den beiden Hemmern der Protease ausgenutzt, sodass die Konzentration des neben Ritonavir in kleinen Dosen eingesetzten Hemmers der Protease länger genügend hoch bleibt.

Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch die Kombination mit den drei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase, AZT, 3TC und Abacavir, zu erwägen. In Studien geprüft wird auch die Kombination von zwei Hemmern der Protease und einem nichtnukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase.

Viele Kombinationen sind denkbar. Aus den verschiedensten Gründen nicht sinnvoll sind: die Kombination von ddI mit ddC, AZT mit d4T, ddC mit 3TC, der Einsatz von Saquinavir-Hard-Gel-Kapseln ohne die gleichzeitige Zufuhr von Ritonavir oder die Verwendung von Amprenavir oder von Saquinavir-Soft-Gel-Kapseln als einzige Hemmer der Protease in Kombination mit Efavirenz u.a.m.


Bereits bei der ersten Behandlung, welche die grösste Chance hat, erfolgreich zu sein, müssen immer auch Therapiealternativen eingeplant werden, welche die bekannten Kreuzresistenzen (siehe Kapitel «Wie resistente Viren entstehen») berücksichtigen: Bei einem allfälligen Therapieversagen (z.B. einer ungenügenden Abnahme des Viral Load) kann dann ein sinnvoller Wechsel vorgenommen werden.

Daneben sind bei der Wahl der Wirkstoffe:


deren Nebenwirkungen,

deren Ansprüche an die Adherence, d.h. Anzahl einzunehmende -Dosen pro Tag, Einnahme mit oder ohne Nahrung, Tablettenzahl

sowie voraussehbare Wechselwirkungen mit Medikamenten, die der Patient oder die Patientin aus anderen Gründen einnehmen muss,

mit einzubeziehen.


Der Stellenwert von neu entwickelten Substanzen oder Substanzklassen ist noch nicht genügend geklärt. Es ist deshalb wünschbar, dass möglichst viele Patienten und Patientinnen im Rahmen von Studien mit standardisierten Therapiekombinationen behandelt werden können, um möglichst bald Antworten auf die vielen offenen Fragen zu erhalten.


Therapiewechsel

Meist wird die Therapie gewechselt, weil eines der Medikamente nicht gut vertragen wird oder weil die Behandlung ungenügend wirkt (Therapieversagen). Von einem Therapieversagen ist bei der erstmaligen Behandlung dann die Rede, wenn es mit einer Therapie nicht gelingt, die Virusvermehrung so weit zu stoppen, dass der Viral Load innerhalb von sechs Monaten unter die Nachweisgrenze absinkt, oder wenn er wieder aus dem nicht nachweisbaren Bereich ansteigt.

Therapieversagen ist oft die Folge mangelhafter Adherence (siehe nächsten Abschnitt). Weitere Gründe für Therapieversagen und damit für einen Therapiewechsel sind alle anderen möglichen Ursachen, die zu ungenügend hohen Wirkstoffkonzentrationen führen (z.B. mangelhafte Medikamentenaufnahme aus dem Magen-Darm-Kanal oder Wechselwirkungen zwischen Medikamenten), oder bereits bestehende resistente Virus-varianten.

Unter der Voraussetzung, dass die Kombination wirkt, kann eine einzelne Substanz, die sich als unverträglich erweist, durch eine andere, gleichwertige, ersetzt werden. Muss die Therapie hingegen wegen einer ungenügenden Wirkung geändert werden, muss nach Möglichkeit die ganze Kombination durch neue Substanzen ohne Kreuzresistenzen ersetzt werden, um einen anhaltenden Therapieerfolg zu ermöglichen. Es ist falsch, zu einer unwirksamen Therapie lediglich einen neuen Wirkstoff hinzuzufügen.


Bei Menschen mit Therapieversagen unter mehreren Kombinationsbehandlungen gegen HIV scheint die Fortsetzung einer antiretroviralen Therapie sowohl immunologisch (in Bezug auf den CD4-Wert) als auch virologisch (im Hinblick auf den Viral Load) Nutzen zu bringen. Anscheinend sind die gegenüber den eingesetzten Wirkstoffen resistent gewordenen HIV weniger fit (und somit weniger vermehrungsfähig) als der HIV-Wildtyp, der sich nach einem Behandlungsabbruch wieder auszubreiten scheint. Es bleibt jedoch, zu untersuchen, welche Bedeutung diese Beobachtung im langfristigen Verlauf hat.

Es ist zu erwarten, dass neue Erkenntnisse die Behandlungsformen weiterhin laufend verändern.


Je mehr Medikamente gegen das HI-Virus auf dem Markt sind, desto grösser sind die Kombinationsmöglichkeiten und desto besser ist es möglich, nicht nur eine wirksame, sondern auch eine individuell angepasste Behandlung durchzuführen.


Adherence – Compliance – Therapietreue: die Therapie nach Vorschrift durchführen

Adherence meint – ähnlich wie Compliance – die Befolgung einer ärztlichen Empfehlung. In Bezug auf die Behandlung spricht man auch von «Adherence to Therapy» oder Therapietreue. Dies bedeutet die «Bereitschaft und Fähigkeit zur Befolgung einer Therapievorschrift» oder das «Mass der Übereinstimmung der tatsächlich erfolgten Medikamenteneinnahme mit der medizinisch optimalen Therapie».

Für Patienten und Patientinnen, die über längere Zeit Medikamente einnehmen müssen, ist es entscheidend, sich konstant «adhärent» («compliant») zu verhalten, d.h., die Medikamente immer gemäss den Anweisungen einzunehmen. Deshalb ist es wichtig, dass Arzt oder Ärztin und Patient oder Patientin zusammen die Bedingungen der medikamentösen Behandlung eingehend besprechen.


Alle, die sich mit dem HI-Virus auseinander setzen, sind aufgefordert, alles zu unternehmen, um eine optimale Adherence zu erreichen:

die Patienten und Patientinnen z.B. dadurch, dass sie beim Arzt oder bei der Ärztin ihre offenen Fragen stellen, ihre Lebensgewohnheiten anpassen, Tipps aufnehmen, Hilfsmittel einsetzen usw.,

die Pharmaunternehmen z.B. dadurch, dass sie Präparate entwickeln, die leichter einzunehmen und länger wirksam sind,

die Ärzte und Ärztinnen sowie das Pflegepersonal z.B. dadurch, dass sie sich intensiv mit Fragen im Zusammenhang mit Medikamenten gegen HIV beschäftigen, konstant kontrollieren, genau antworten und immer wieder beim Patienten bzw. der Patientin nachfragen.


Adherence bedeutet nicht nur, ein Medikament einzunehmen, sondern dies auch in den richtigen Mengen und zur richtigen Zeit zu tun. Vorschriften in Bezug auf Kombinationsbehandlungen gegen HIV beinhalten deshalb Angaben über


die Einzeldosis,

die Zeitabstände zwischen den Einzeldosen,

die zeitliche Distanz zum Essen. Muss ein Medikament «nüchtern» eingenommen werden, so bedeutet das, dass es spätestens 1 Stunde vor oder frühestens 2 Stunden nach dem Essen geschluckt werden darf.


Durch die Vorschriften soll erreicht werden, dass die Wirksubstanzen in optimalen Mengen ins Blut gelangen. Bei der Behandlung gegen HIV ist das besonders wichtig: Wenn die wirksame Konzentration einer Substanz nicht erreicht wird, besteht die Gefahr, dass sich resistente HIV-Varianten (siehe Kapitel 2.3, «Wie resistente Viren entstehen») vermehren können.


Der Grad der Therapietreue wird in der Regel geschätzt, indem die Zahl der verordneten mit der Zahl der eingenommenen Medikamente verglichen wird. Wenn eine bestimmte Kombinationsbehandlung gegen HIV die Einnahme von zwei «Rationen» pro Tag vorsieht, beträgt die Therapietreue z.B. 95%, wenn innerhalb von 10 Tagen eine «Ration» vergessen wird, oder 80%, wenn in diesem Zeitraum 4 «Rationen» unberührt bleiben. Wenn die Therapietreue mindestens 95% erreicht, liegt der Viral Load nach einer Beobachtungsdauer von 6 Monaten meistens unter der Nachweisgrenze. Wenn sie weniger als 80% ausmacht, ist dies praktisch nie der Fall.

Ob eine Substanz vom Körper gut aufgenommen wird oder nicht, hängt von der Eigenschaft der Substanz ab, sich eher in Fett oder eher in Wasser aufzulösen. Substanzen werden meist in fester Form eingenommen. Der Anteil der Substanz, der für die Aufnahme zur Verfügung steht, ist abhängig von der Löslichkeit der Substanz und von Eigenschaften des Verdauungskanals. Je nach Eigenschaften einer Substanz ist es also unerlässlich, den Zustand des Verdauungskanals und die Zusammensetzung einer allfälligen Begleitnahrung zu berücksichtigen, wenn mit der eingenommenen Dosis ein bestimmter Blutspiegel erreicht werden soll.

Die verschiedenen Wirkstoffe werden auch unterschiedlich im Körper ab- oder umgebaut (metabolisiert). Viele der neuen Wirkstoffe werden in der Leber durch bestimmte Enzyme innerhalb des so genannten Zytochrom-P450-Systems abgebaut. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Abbau vonstatten geht, ist aber von Mensch zu Mensch verschieden und äusseren Einflüssen unterworfen (siehe Kapitel 2.3, «Wechselwirkungen von Medikamenten»). Wenn der Abbau langsam abläuft, verbleibt mehr Wirkstoff im Blutserum und der Blutspiegel bleibt länger im wirksamen Bereich und umgekehrt. In bestimmten Situationen wird deshalb die Konzentration einzelner Medikamente im Blutserum (Blutspiegel oder Serumspiegel) gemessen (siehe Kapitel 1.4).


Es ist eindeutig, dass eine enge Beziehung zwischen guter Adherence und guter Wirksamkeit besteht. Der umgekehrte Schluss gilt aber nicht unbedingt: Wenn der Viral Load nicht genügend sinkt, so muss das nicht immer mit einer schlechten Adherence zu tun haben. Es ist offensichtlich, dass z.B. auch eine vorbestehende Resistenz Ursache dafür sein kann, dass eine Behandlung nicht wirkt.

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Studien beweisen: Menschen, die Medikamente unter Aufsicht schlucken (DOT = Directly Observed Therapy), zeigen gegenüber Menschen, die Medikamente unbeobachtet einnehmen, eine bessere Wirksamkeit der eingesetzten Kombinationsbehandlung.


2.4 Die einzelnen Medikamente nach Wirkstoffklassen


Im Folgenden findet sich eine Übersicht über jene Medikamente gegen HIV, die zurzeit in der Schweiz zugelassen sind oder von denen anzunehmen ist, dass sie in absehbarer Zeit bei Swissmedic (früher: Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel – IKS) registriert werden.


Hemmer der Fusion (FI)

Die Hemmer der Fusion gehören zu jenen Substanzen, die verhindern sollen, dass HIV in die Zielzellen gelangen, also zu den so genannten Entry-Inhibitoren. In diesem Zusammenhang werden gegenwärtig mindestens drei Mechanismen genauer untersucht (siehe Kapitel 3.2).


T-20 (Enfuvirtide, Markenname: Fuzeon™)

T-20 verhindert, dass die Hülle des HI-Virus und die Membran der CD4-Zelle miteinander verschmelzen und das Virus-Erbgut so in die Zelle gelangt. T-20 behindert die Funktion des in der HIV-Hülle eingebauten Eiweisses gp41, welches das HIV nach dem Andocken an bestimmten Oberflächenstrukturen (Rezeptoren) näher zur Zelle bringt. Da keine Kreuzresistenzen mit den bisher verfügbaren Medikamenten gegen HIV zu erwarten sind, ist T-20 für Menschen, bei denen bereits mehrere Kombinationsbehandlungen unwirksam geworden sind, eine der wenigen verbleibenden Behandlungsmöglichkeiten. Wird T-20 als einziger Wirkstoff gegen HIV eingesetzt, bilden sich jedoch rasch resistente HIV-Varianten. Die Substanz muss deshalb – wie alle anderen Medikamente gegen HIV – stets im Rahmen von Kombinationsbehandlungen mit anderen, wenn möglich noch gut wirksamen Substanzen eingesetzt werden.

Unter einer Behandlung mit T-20 allein sinkt der Viral Load, und der CD4-Wert steigt an. Die virologische und immunologische Wirksamkeit von T-20 allein ist jedoch bescheiden und zeitlich begrenzt.

T-20 wird im Rahmen einer Kombinationsbehandlung zweimal täglich in einer Dosierung von je 90 mg unter die Haut gespritzt. Schmerzhafte Reaktionen an den Einstichstellen sind die häufigste Nebenwirkung. Andere Nebenwirkungen sind vergleichsweise selten. Da T-20 ein Eiweiss ist, sind keine Wechselwirkungen mit anderen Wirkstoffen zu erwarten. Aus dem gleichen Grunde muss T-20 gespritzt werden, da es sonst verdaut würde. Viele Menschen bilden gegen die Substanz Antikörper; diese scheinen aber die Wirksamkeit der Substanzen nicht zu beeinträchtigen. Die Substanz ist erst im Rahmen von Studien und eines begrenzten Compassionate-Use -Programms erhältlich.


Nukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase (NRTI)

Die Medikamente der Klasse der Hemmer (Inhibitoren) der Reversen Transkriptase (RT) lassen sich in drei Gruppen einteilen:


nukleosidanaloge (NRTI)

nichtnukleosidanaloge (NNRTI) und

nukleotidanaloge Hemmer (NtRTI)


In der Schweiz waren im Winter 2002/2003 sechs verschiedene nukleosidanaloge, zwei nichtnukleosidanaloge und ein nukleotidanaloger Hemmer der Reversen Transkriptase zugelassen. Der Wirkungsmechanismus der nukleosidanalogen und nukleotidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase beruht im Wesentlichen auf der Hemmung eines viruseigenen Enzyms, der Reversen Transkriptase. Diese Substanzen werden beim Umschreiben des Viruserbguts als falsche Bausteine eingebaut, worauf der Prozess des Umschreibens (Transkription) abbricht. Von daher ist grundsätzlich eine vergleichbare Wirkung aller Substanzen zu erwarten. Dennoch gibt es Unterschiede in der Wirksamkeit; deutlich unterschiedlich sind die Substanzen bezüglich ihrer individuellen Nebenwirkungen. Zwischen einzelnen Vertretern der nukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase besteht eine weit gehende Kreuzresistenz.

Nukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase werden in Kombination mit Wirkstoffen aus anderen Substanzklassen (NNRTI oder PI) eingesetzt. Um eine Kombination aus drei verschiedenen nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase (ABC, AZT und 3TC, Markenname Trizivir®) einsetzen zu können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Es empfiehlt sich, vor dem Einsatz mit einem Experten oder einer Expertin Rücksprache zu nehmen.

Die Klasse der nukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase steht im Verdacht, bei länger dauerndem Einsatz ein Syndrom mitzuverursachen, das vermutlich zumindest teilweise auf eine Beeinträchtigung der Mitochondrien zurückzuführen ist und sich in einer Störung der Leberfunktion, einer Steigerung des Fettabbaus, einer Zunahme des Fett- und Milchsäurespiegels im Blut und einer Schädigung von Nervenzellen äussern kann (siehe Kapitel 2.3). Dabei scheinen die einzelnen Vertreter der Klasse in unterschiedlichem Ausmass an dieser Nebenwirkung beteiligt zu sein.

Damit die nukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase in der HIV-infizierten menschlichen Zelle aktiv werden können, müssen sie durch ein körpereigenes Enzym – die so genannte Phosphorylase – chemisch verändert («aktiviert») werden. Bei einzelnen Menschen ist zu beobachten, dass der Viral Load während einer Behandlung mit nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase anstieg, obwohl sie HIV-Varianten aufwiesen, deren Vermehrung im Reagenzglas durch die Wirkstoffe gehemmt wurde. Es gibt Hinweise darauf, dass bei diesen Personen die Phosphorylase mit der Zeit erlahmt. Der Wiederanstieg des Viral Load ist hier also nicht darauf zurückzuführen, dass resistente HIV-Va-rianten entstanden, sondern, dass sich Stoffwechselvorgänge in den Zellen veränderten. Deshalb wird manchmal von «Zellresistenz» gesprochen. Das ist allerdings ein etwas unglücklicher Begriff, denn die Zellen sind ja nicht gegen das Virus resistent.


AZT (Zidovudin, Markenname: Retrovir® AZT®)

Unter dem Markennamen Retrovir® AZT® wurde der Wirkstoff AZT als erstes weltweit zugelassenes Medikament gegen die HIV-Infektion und ihre Folgen eingeführt. AZT wird heute – wie alle anderen nukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase – nur in Kombination mit anderen Medikamenten, nicht jedoch zusammen mit d4T, gegen HIV eingesetzt. Eine Kombination mit d4T ist von Nachteil, da AZT die Aktivierung von d4T in den Zielzellen behindert. AZT, früher allein verabreicht, verlängerte das Überleben von Patienten und Patientinnen, bei denen die Diagnose Aids neu gestellt wurde. Das Überleben von Patienten und Patientinnen ohne Symptome wurde hingegen nicht verlängert. Bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem, aber ohne Aids definierende Krankheiten konnte AZT den Krankheitsverlauf verlangsamen. AZT verminderte die Häufigkeit des Auftretens einer HIV-Enzephalopathie (Hirnerkrankung); die Anzeichen dieser Krankheit besserten sich unter der Einnahme von AZT.

Unter einer Behandlung mit AZT alleine sinkt der Viral Load, und der CD4-Wert steigt an. Der klinische Nutzen einer alleinigen Behandlung mit AZT ist bescheiden und die virologische Wirksamkeit auf einige Monate beschränkt.

Wird AZT von einer Frau mit HIV während der Schwangerschaft und der Geburt sowie beim Säugling während der ersten sechs Lebenswochen angewendet, so verringert sich die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus von der Mutter auf ihr Kind übertragen wird, um rund zwei Drittel (siehe Kapitel 5.2). AZT ist häufig Bestandteil einer HIV-PEP (siehe Kapitel 2.2).

Heute werden im Rahmen einer Kombinationsbehandlung gegen HIV in der Regel 500–600 mg AZT pro Tag verschrieben (2x1 Kapsel à 250 mg oder 2x1 Tablette à 300 mg oder in Form von Sirup). AZT ist auch in Kombination mit 3TC (AZT 300 mg + 3TC 150 mg) unter dem Markennamen Combivir® und in Kombination mit 3TC und ABC (AZT 300 mg + 3TC 150 mg + ABC 300 mg) unter dem Markennamen Trizivir® erhältlich.

Bei Beginn der Behandlung verspürt etwa die Hälfte der mit AZT behandelten Personen mit HIV Nebenwirkungen wie Übelkeit, Unwohlsein oder Kopfschmerzen. Diese sind in der Regel leicht und verlieren sich spontan nach etwa zwei Wochen Behandlung. Mögliche Nebenwirkungen nach längerer Einnahme sind ein Mangel an roten Blutkörperchen (Anämie), eine Verminderung der neutrophilen Granulozyten, einer Gruppe von weissen Blutkörperchen (Neutropenie), und selten Muskelschmerzen (Myopathie oder Myositis). Eine leichte Blutarmut tritt regelmässig auf, ist aber unbedenklich. Eine schwere Anämie ist selten und bedeutet in der Regel, dass AZT abgesetzt und durch ein anderes Medikament ersetzt wird. Ebenfalls abzusetzen ist AZT bei einer ausgeprägten Neutropenie. Bei Menschen mit einer fortgeschrittenen HIV-Infektion treten Blutbildveränderungen häufiger auf.


ddI (Didanosin, Markenname: Videx®)

Unter dem Markennamen Videx® wurde der Wirkstoff ddI als zweites Medikament gegen HIV und dessen Folgen in der Schweiz eingeführt. ddI wird heute nur in Kombination mit anderen Medikamenten gegen HIV eingesetzt. Die Kombination von ddI mit AZT ist einer Behandlung mit AZT alleine in jeder Hinsicht überlegen. Bei bisher unbehandelten Menschen mit HIV war die Behandlung mit ddI alleine wirksamer als eine Behandlung mit AZT alleine. Bei Menschen, die bereits AZT eingenommen hatten, führte sowohl die Zugabe von ddI zu AZT als auch ein Wechsel zu ddI allein zu einem Überlebensvorteil.

Unter einer Behandlung mit ddI allein sinkt der Viral Load, und der CD4-Wert steigt an. Der klinische Nutzen von ddI allein ist bescheiden und dessen Dauer unbekannt. Die virologische Wirksamkeit ist zeitlich begrenzt.

In der Schweiz werden im Rahmen einer Kombinationsbehandlung gegen HIV bei über 60kg schweren Personen 400mg (entweder einmal täglich eine Kapsel à 400mg oder zweimal täglich eine solche à 200mg) und bei weniger als 60kg schweren Personen 250mg (entweder einmal täglich eine Kapsel à 250mg oder zweimal täglich eine solche à 125mg) ddI pro Tag in der Form von magensaftresistenten Kapseln (Enteric-coated Capsules) verabreicht.

Enteric-coated Capsules enthalten Körnchen, deren Beschichtung sich erst im Darm auflöst und die ddI somit vor der Inaktivierung durch Magensäure schützt. Diese Formulierung hat damit gegenüber den im Handel nicht mehr erhältlichen alten Kautabletten mehrere Vorteile: Der unangenehme Geschmack fällt weg; die Begleitsubstanz, welche die Magensäure puffert (neutralisiert) und den häufig beobachteten Durchfall mitverursacht, ist überflüssig. Wirkstoffe, für deren Aufnahme die Magensäure wichtig ist (z.B. Indinavir), können so zusammen mit ddI eingenommen werden. Das Medikament muss aber auch in der neuen Formulierung nüchtern (das heisst spätestens eine Stunde vor und frühestens zwei Stunden nach einer Mahlzeit) eingenommen werden.

Das Hauptproblem bei der Therapie mit ddI ist eine Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis). Bei der üblichen Dosierung tritt sie bei 3% der Patienten und Patientinnen auf. Sie äussert sich meistens in Oberbauchschmerzen, die nach allen Seiten ausstrahlen und oft von Übelkeit, Erbrechen und Fieber begleitet sind. Die Erkrankung ist häufiger, wenn jemand ddI mit d4T (Zerit®) kombiniert, noch andere Medikamente einnimmt, die entweder als Nebenwirkung selbst eine Pankreatitis verursachen können (z.B. Pentamidin) oder die ddI-Wirkung steigern (z.B. Ribavirin). Zudem wenn jemand viel Alkohol trinkt, sehr fettleibig ist, Gallensteine hat, an einer weit fortgeschrittenen HIV-Infektion leidet oder schon einmal eine Pankreatitis durchgemacht hat.


ddC (Zalcitabin, Markenname: Hivid®)

Unter dem Markennamen Hivid® wurde der Wirkstoff ddC als drittes Medikament gegen HIV und dessen Folgen in der Schweiz eingeführt. ddC wird immer in Kombination mit anderen Medikamenten gegen HIV eingesetzt. Bei bisher unbehandelten Menschen mit HIV war die Kombination von ddC mit AZT einer Behandlung mit AZT alleine in jeder Hinsicht überlegen; alleine verabreicht war es jedoch weniger wirksam als AZT. Bei Menschen, die längere Zeit mit AZT behandelt wurden, führte die Zugabe von ddC zu AZT nur zu einem geringen Vorteil.

Unter einer Behandlung mit ddC alleine sinkt der Viral Load, und der CD4-Wert steigt an. Der klinische Nutzen von ddC allein ist sehr bescheiden und dessen Dauer unbekannt. Die virologische Wirksamkeit ist zeitlich begrenzt.

In der Regel werden im Rahmen einer Kombinationsbehandlung gegen HIV bei über 60 kg schweren Personen täglich 2,25 mg ddC verabreicht (3x1 Tablette).

Die wohl schwerwiegendste Nebenwirkung von ddC ist ein Nervenleiden in den Gliedern (periphere Neuropathie), das sich unter anderem durch ein Taubheitsgefühl oder ein Brennen äussert. Wird die Therapie fortgesetzt, bleiben diese Nebenwirkungen bestehen. Sie verschwinden jedoch, wenn die Behandlung abgebrochen wird.


d4T (Stavudin, Markenname: Zerit®)

d4T ist in der Schweiz unter dem Markennamen Zerit® für die Kombina-tionsbehandlung gegen HIV und dessen Folgen zugelassen. d4T wird immer in Kombination mit anderen Medikamenten gegen HIV, nicht jedoch zusammen mit AZT, eingesetzt. Eine Kombination mit AZT ist von Nachteil, da AZT die Aktivierung von d4T in den Zielzellen behindert. Der klinische Nutzen von d4T wurde bei Patienten und Patientinnen gezeigt, die bereits lange Zeit AZT eingenommen hatten.

Unter einer Behandlung mit d4T allein sinkt der Viral Load, und der CD4-Wert steigt an. Der klinische Nutzen von d4T allein ist jedoch sehr bescheiden und dessen Dauer unbekannt. Die virologische Wirksamkeit ist auf einige Monate beschränkt. d4T gelangt ähnlich wie AZT und im Gegensatz zu ddI und ddC relativ gut ins zentrale Nervensystem. Fallberichte zeigten eine positive Wirkung von d4T bei Patienten und Patientinnen mit einer HIV-Demenz.

In der Regel werden im Rahmen einer Kombinationsbehandlung gegen HIV bei über 60 kg schweren Personen täglich 80 mg d4T (2x1 Kapsel oder in Form eines wasserlöslichen Pulvers) und bei weniger als 60 kg schweren Personen täglich 60 mg d4T verabreicht (2x1 Kapsel oder in Form eines wasserlöslichen Pulvers).

Die wichtigsten Nebenwirkungen sind schmerzhafte Nervenentzündungen (periphere Neuropathien). Sie bilden sich zurück, wenn die Substanz abgesetzt wird.


3TC (Lamivudin, Markenname: 3TC®)

3TC ist in der Schweiz unter dem Markennamen 3TC® für die Kombinationsbehandlung gegen HIV zugelassen. Eine Kombinationstherapie von AZT mit 3TC senkte den Viral Load, und der CD4-Wert stieg an. Günstige Wirkungen dieser Kombinationsbehandlung zeigten sich sowohl bei Menschen, die noch nie eine Behandlung gegen HIV erhalten hatten, als auch bei solchen, die bereits mit AZT gegen HIV behandelt worden waren. Die Kombinationen d4T + 3TC und AZT + 3TC zeigten eine vergleichbare Wirkung auf den Viral Load und den CD4-Wert.

Wenn 3TC allein oder in einer Zweierkombination verabreicht wird, entwickeln sich schnell gegen 3TC resistente Viren. Es liegen aber Anhaltspunkte dafür vor, dass Lamivudin in Kombination mit AZT die Entwicklung einer Resistenz gegen AZT verzögert. Die Dauer des klinischen Nutzens von 3TC ist unbekannt. Die virologische Wirksamkeit ist zeitlich begrenzt.

In der Regel werden bei einer Kombinationsbehandlung gegen HIV täglich 300mg 3TC verabreicht (entweder 2x1 Tablette à 150 mg oder 1x1 Tablette à 300mg oder in Form einer Lösung). 3TC ist auch als Kombinationspräparat zusammen mit AZT (3TC 150 mg + AZT 300 mg) unter dem Markennamen Combivir® und in Kombination mit AZT und ABC (3TC 150 mg + AZT 300 mg + ABC 300 mg) unter Trizivir® erhältlich.

Die wichtigsten (insgesamt eher seltenen) Nebenwirkungen von 3TC allein sind Kopfschmerzen und Übelkeit.


ABC (Abacavir, Markenname: Ziagen®)

ABC ist in der Schweiz unter dem Markennamen Ziagen® für die Kombinationsbehandlung gegen HIV und dessen Folgen zugelassen.

Studien bei bisher unbehandelten Patienten und Patientinnen legen nahe, dass Abacavir ein sehr wirksamer nukleosidanaloger Hemmer der Reversen Transkriptase ist. Nach einem halben Jahr wurden eine durchschnittliche Verminderung des Viral Load um einen Faktor 100 und eine Zunahme des CD4-Wertes um rund 100 Zellen pro Mikroliter Blut beobachtet. Ergebnisse von Studien bei Patienten und Patientinnen, die zuvor über längere Zeit mit anderen nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase behandelt wurden und in dieser Zeit verschiedene resistente HIV-Varianten entwickelten, zeigen eine geringere Wirksamkeit.

ABC wird im Rahmen einer Kombinationsbehandlung gegen HIV in einer Dosierung von täglich 600 mg verabreicht (2x1 Tablette). ABC ist auch in Kombination AZT und 3TC (ABC 300 mg + AZT 300 mg + 3TC 150 mg) unter dem Markennamen Trizivir® erhältlich.

Eine Behandlung mit ABC verursacht öfters Übelkeit oder Kopfschmerzen. Eine ernsthafte Nebenwirkung bei etwa 5% der behandelten Personen stellt eine Überempfindlichkeitsreaktion dar. Diese tritt durchschnittlich etwa eine Woche – selten auch viel später – nach Therapiebeginn auf und äussert sich in Übelkeit und Fieber. Manchmal beobachtet man einen Hautausschlag. Etwa 20% der von einer Überempfindlichkeitsreaktion betroffenen Menschen haben Störungen der Atemwege, die sich zum Beispiel in Form von Schluckweh, Husten und Atemnot äussern, oder Störungen im Verdauungskanal, die zu Bauchweh, Erbrechen und Durchfall führen. Nach Absetzen des Medikamentes verschwinden die Beschwerden rasch. Eine Wiederaufnahme der Behandlung darf nicht versucht werden, da dann unter anderem ein lebensbedrohlicher Blutdruckabfall eintreten kann, der eine sofortige intensivmedizinische Behandlung nötig macht. Nach einem Therapieabbruch infolge vermuteter oder sicherer Hypersensitivität sollten die nicht verwendeten Tabletten dem Arzt oder Apotheker zurückgebracht werden.


Nichtnukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase (NNRTI)

Bei den nichtnukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase (NNRTI) handelt es sich um Substanzen, welche die Reverse Transkriptase hemmen. Sie sind aber chemisch nicht Abkömmlinge von körpereigenen Substanzen, aus denen die Zellen ihre Erbinformation aufbauen (Nukleoside). NNRTI zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Reverse Transkriptase sehr spezifisch hemmen, das heisst nur gegen das HIV-1 (und nicht gegen das HIV-2) wirksam sind. Beim alleinigen Einsatz von NNRTI entstehen innert Tagen resistente HIV-Varianten. NNRTI entfalten ihre Wirksamkeit in der Zelle, ohne dass sie zuvor chemisch verändert («aktiviert») werden müssen.

Als gemeinsame Nebenwirkung finden sich bei allen NNRTI öfters Hautausschläge von unterschiedlicher Ausprägung.

Die gegenwärtig verfügbaren NNRTI werden in der Leber über ein spezielles Enzymsystem (Zytochrom-P450-System) abgebaut. Wie bei den Hemmern der Protease, auf die später in diesem Kapitel eingegangen wird, können darum erhebliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten eintreten, die auf dem gleichen Weg abgebaut werden. Diese können darin bestehen, dass die Konzentration der NNRTI oder einer anderen eingenommenen Substanz im Blut ansteigt oder abfällt. Zu hohe Medikamentenspiegel können zu Nebenwirkungen führen, zu tiefe Medikamentenspiegel zum Verlust der Wirksamkeit. Vor einer Behandlung mit einem NNRTI müssen deshalb alle bisher eingenommenen Wirkstoffe (zugelassene Medikamente, in der Schweiz nicht registrierte Präparate, illegale Drogen, legale pflanzliche Extrakte etc.) durch den Arzt oder die Ärztin auf ihre möglichen Wechselwirkungen mit dem NNRTI hin überprüft werden. Mögliche Wechselwirkungen müssen auch dann erwogen werden, wenn bei einer bestehenden Behandlung mit einem NNRTI zuvor nicht ausdrücklich besprochene Wirkstoffe eingenommen werden sollen. Besondere Beachtung erfordern die Wechselwirkungen zwischen den Partnern einer Kombinationsbehandlung gegen HIV.

Nevirapin (NVP, Markenname: Viramune®)

Nevirapin ist der erste NNRTI, der in der Schweiz zugelassen wurde. Die Substanz wird vom Körper gut aufgenommen und dringt auch gut ins zentrale Nervensystem ein. Alleine verabreicht bewirkte die Substanz eine rasche Reduktion des Viral Load sowie einen bescheidenen Anstieg des CD4-Wertes; in der Regel entstanden jedoch innert Tagen resistente Viren; der CD4-Wert und der Viral Load kehrten wieder auf die Ausgangswerte zurück.

Zusammen mit AZT und ddI verabreicht, senkt Nevirapin den Viral Load während längstens eines Jahres um das 60fache, und der CD4-Wert steigt im Schnitt stark an (140 Zellen pro Mikroliter Blut). Die Ergebnisse von Vergleichsstudien zeigten für die Kombination Nevirapin + ddI + d4T bei bisher unbehandelten Personen nach einem Jahr vergleichbare Ergebnisse bezüglich des Absinkens des Viral Load und des Anstiegs der CD4-Zellen wie die Kombination Indinavir + AZT + 3TC. Es ist anzunehmen, dass sich die günstigen Laborwerte der Dreierkombination ohne einen Hemmer der Protease auch vergleichbar auf den klinischen Verlauf der HIV-Infektion auswirken.

Die Dauer des Nutzens einer Kombination mit Nevirapin ist unbekannt; es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist.

Nevirapin reduziert das Übertragungsrisiko von HIV von der Mutter auf das Kind. Die Verabreichung von je einer Einzeldosis an die Mutter unter der Geburt und an das Neugeborene war der wiederholten AZT-Gabe an die Mutter unter der Geburt und der täglichen Gabe an das Neugeborene während einer Woche überlegen und kostengünstiger. Allerdings wiesen viele Mütter – nach einer Einzeldosis als Monotherapie – auf Nevirapin resistente Virusvarianten auf.

Laboruntersuchungen zeigen eine vollständige Kreuzresistenz (siehe Kapitel 2.3) zwischen Nevirapin und Efavirenz, d.h., ist ein Virus unempfindlich gegenüber einer Substanz geworden, dann reagiert es auch nicht mehr auf die andere.

Während der ersten 14 Tage werden 200 mg pro Tag, danach 400 mg pro Tag (2x1 Tablette oder 1x2 Tabletten) zusammen mit zwei nukleosid-analogen Hemmern der Reversen Transkriptase verabreicht. Die Dosierung einmal täglich ist von Swissmedic nicht registriert. Nevirapin wird – wie die anderen verfügbaren NNRTI und die Hemmer der Protease – über die Leber ausgeschieden. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem von solchen Substanzen zu erwarten, die ebenfalls von der Leber abgebaut werden.

Nevirapin wird in der Regel gut toleriert. Hauptsächlichste Nebenwirkung ist ein Hautausschlag. Er kann in seltenen Fällen im Sinne einer Überempfindlichkeitsreaktion (manchmal mit Muskel- und Gelenkschmerz, Lymphknotenschwellung, Fieber, Blutbildveränderung sowie Nierenfunktionsstörung) sehr schwer verlaufen und die Schleimhäute mitbefallen (Stevens-Johnson-Syndrom). Noch seltener können im Rahmen einer Überempfindlichkeitsreaktion Leberentzündungen auftreten. Wenn eine Überempfindlichkeitsreaktion wahrscheinlich ist oder wenn bestimmte Laborwerte ungünstig werden, muss die Behandlung sofort abgebrochen und darf nie mehr aufgenommen werden.


Efavirenz (EFV, Markenname: Stocrin®)

Die Substanz Efavirenz wird weltweit von zwei Pharmaunternehmen unter zwei verschiedenen Handelsnamen vertrieben. Der Vertreiber für die Schweiz nennt sein Produkt Stocrin®, in Frankreich oder den USA z.B. wird der gleiche Wirkstoff jedoch von der anderen Firma unter dem Handelsnamen Sustiva™ verkauft. Die Ergebnisse einer Vergleichsstudie zeigen für die Kombination Efavirenz + AZT + 3TC bei bisher unbehandelten Personen nach einem Jahr mindestens einen vergleichbaren Effekt bezüglich des Absinkens des Viral Load und des Anstiegs der CD4-Zellen wie für die Kombination Indinavir + AZT + 3TC. Die Substanz wird vom Körper gut aufgenommen.

Es ist anzunehmen, dass sich die günstigen Laborwerte der Dreierkombination ohne einen Hemmer der Protease auch vergleichbar auf den klinischen Verlauf der HIV-Infektion auswirken.

Die Dauer des Nutzens einer Kombination mit Efavirenz ist unbekannt; es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist. Laboruntersuchungen zeigen eine praktisch vollständige Kreuzresistenz zwischen Efavirenz und Nevirapin, das heisst ist ein Virus unempfindlich gegenüber einer Substanz geworden, dann reagiert es auch nicht mehr auf die andere.

In der Regel werden täglich 600 mg Efavirenz (1x1 Tablette à 600 mg oder 1x3 Kapseln à 200mg) zusammen mit weiteren Substanzen gegen HIV verabreicht. Efavirenz wird wie die anderen verfügbaren NNRTI und die Hemmer der Protease über die Leber ausgeschieden. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem von solchen Substanzen zu erwarten, die ebenfalls von der Leber abgebaut werden.

Efavirenz wird in der Regel gut vertragen. Vor allem bei Behandlungsbeginn werden jedoch nicht selten Schwindel, Konzentrationsstörungen und Verstimmungen beobachtet. Ebenfalls häufig ist ein Hautausschlag. Efavirenz darf bei schwangeren Frauen nicht eingesetzt werden.


Nukleotidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase (NtRTI)

Die nukleosid- und nukleotidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase sind Abkömmlinge von körpereigenen Molekülen, aus denen die Zellen ihre Erbinformation aufbauen. Sie werden erst durch den Stoffwechsel der Zelle in die aktive Form überführt. Dabei werden den Molekülen Phosphor-gruppen hinzugefügt, den Nukleosidanaloga drei, den Nukleotidanaloga bloss zwei, weil sie bereits eine Gruppe tragen. Man spricht von Phosphorylierung (siehe weiter vorne). Im Gegensatz zu den Nukleosidanaloga findet dieser Vorgang bei den Nukleotidanaloga auch in nicht-HIV-infizierten Zellen statt. Diese Zellen erhalten so gewissermassen einen Schutz vor einer HIV-Infektion.


Tenofovir (TDF, Markenname: Viread®)

TDF (bis POC PMPA) stellt eine Vorstufe (Prodrug) dar, die geschluckt und im Körper zur aktiven Substanz PMPA (Drug) umgewandelt wird. Unter einer Behandlung mit TDF allein sinkt der Viral Load, und der CD4-Wert steigt an. Der klinische Nutzen von TDF allein ist bescheiden und dessen Dauer unbekannt. Die virologische Wirksamkeit ist zeitlich begrenzt.

In der Regel werden im Rahmen einer Kombinationsbehandlung gegen HIV täglich 300 mg (1x1 Tablette à 300 mg) verabreicht. Die Halbwertszeit innerhalb der Zelle beträgt mehr als 24 Stunden.

Die wichtigsten (insgesamt eher seltenen) Nebenwirkungen von TDF allein sind Übelkeit und Durchfall. Der grosse Vorteil der Substanz ist die Wirksamkeit gegen viele – leider nicht alle – HIV-Varianten, die gegen nukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase resistent geworden sind. Weitere Einsatzgebiete sind möglicherweise die HIV-Post-Expositions-Prophylaxe (HIV-PEP, siehe Kapitel 2.2) und die Vorbeugung der HIV-Übertragung von der Mutter auf das Kind (siehe Kapitel 5.3).


Hemmer der Protease (PI)

Diese Substanzen hemmen die Protease, jenes viruseigene Enzym, das an der Zusammensetzung von HIV-Bestandteilen zu infektiösen Viruspartikeln beteiligt ist. Die einzelnen Hemmer (Inhibitoren) der Protease (PI) unterscheiden sich bezüglich ihrer Verfügbarkeit im Körper, der Wirksamkeit, der Nebenwirkungen und der Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Zwischen den einzelnen Hemmern der Protease besteht eine weit gehende Kreuzresistenz.

Aus der Zeit vor der Anwendung von Hemmern der Protease ist bekannt, dass HIV-infizierte Menschen gegenüber HIV-negativen Menschen erhöhte Blutfette (Triglyzeride, nicht aber Cholesterin) aufweisen. Je fortgeschrittener die HIV-Infektion ist, desto mehr Menschen sind davon betroffen und desto höhere Werte werden beobachtet. Während der Behandlung mit Hemmern der Protease werden nun auch erhöhte Cholesterin- und Zuckerspiegel im Blut gemessen. Hohe Cholesterin- und Blutzuckerspiegel begünstigen, genauso wie Nikotinkonsum, Bluthochdruck und Bewegungsarmut, die Entwicklung der Arteriosklerose (= Gefässverhärtung). Es ist anzunehmen, dass auch die durch Hemmer der Protease hervorgerufenen erhöhten Cholesterin- und Zuckerspiegel Risikofaktoren darstellen (siehe Kapitel 2.3).

Während einer Behandlung mit Hemmern der Protease kommt es gelegentlich zu einer mehr oder weniger gut sichtbaren Umverteilung der Fettdepots. Diese Nebenwirkung wird Lipodystrophie genannt. Dabei nimmt die Fettmenge im Gesicht sowie in den Beinen und Armen ab und im Nacken, in der Brust und im Bauch zu. An der Entwicklung einer Lipodystrophie sind vermutlich aber auch die nukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase mitbeteiligt (siehe Kapitel 2.3).

Wie bei den NNRTI sind beim Einsatz von Hemmern der Protease die möglichen Wechselwirkungen mit andern Medikamenten besonders zu beachten. Diese können darin bestehen, dass die Konzentration der Hemmer der Protease oder einer anderen eingenommenen Substanz im Blut ansteigt oder abfällt. Zu hohe Medikamentenspiegel können zu Nebenwirkungen führen, zu tiefe zum Wirkungsverlust. Vor einer Behandlung mit Hemmern der Protease müssen deshalb alle bisher eingenommenen Wirkstoffe (zugelassene Medikamente, in der Schweiz nicht registrierte Präparate, illegale Drogen, legale pflanzliche Extrakte – siehe weiter unten – etc.) durch den Arzt oder die Ärztin auf ihre Wechselwirkungen mit dem eingesetzten Hemmer der Protease hin überprüft werden. Das gilt selbstverständlich auch dann, wenn bei einer bestehenden Behandlung mit einem Hemmer der Protease zuvor nicht ausdrücklich besprochene Wirkstoffe eingenommen werden sollen.

Von Bedeutung können auch pflanzliche Präparate sein, zum Beispiel Extrakte aus dem Johanniskraut (Hypericum perforatum, St.John’s Wort), da Inhaltsstoffe – insbesondere Hypericin – in der Leber über das -Zytochrom-P450-System abgebaut werden, also auf dem gleichen Weg wie die Hemmer der Protease und die nichtnukleosidanalogen Hemmer der Reversen Transkriptase. Dabei bewirken die Inhaltsstoffe eine Aktivierung von Enzymen, die auch den Abbau einzelner Wirkstoffe gegen HIV bewerkstelligen, sodass deren Konzentration im Blut rascher abfällt. Hypericin und andere Inhaltsstoffe von Johanniskraut sind nicht nur in registrierten Präparaten wie Valverde® Hyperval, Jarsin 300®, Felis®, Hyperiforce®, Hyperiplant®, ReBalance® usw. enthalten, sondern manchmal auch in so genannten Beruhigungs- oder Entspannungstees (siehe Kapitel 7.4). Auch Knoblauchpräparate scheinen zu Wechselwirkungen im Zytochrom-P450-System zu führen und dadurch einen Abfall von Wirkstoffkonzentrationen zu verursachen.

Besondere Beachtung erfordern selbstverständlich auch die Wechselwirkungen zwischen den Partnern einer Kombinationsbehandlung gegen HIV.

Proteasehemmer werden in Kombinationsbehandlungen eingesetzt. Sie vermögen nur beschränkt in die Hirn- und Rückenmarkflüssigkeit (Liquor) vorzudringen.


Saquinavir (SQV, Markennamen: Invirase® und Fortovase®)

Saquinavir wurde als erster Hemmer der Protease in der Schweiz für die Kombinationsbehandlung gegen HIV unter dem Markennamen Invirase® zugelassen. Bei dieser Darreichungsform handelt es sich um eine so genannte Hard-Gel-Kapsel. Von der eingenommenen Menge Wirksubstanz gelangt nur ein kleiner Teil (4%) aus dem Magen-Darm-Kanal ins Blut. Durch die Einnahme zusammen mit Grapefruitsaft kann dieser Anteil leicht gesteigert werden. Höhere Dosierungen (3x12 anstelle von 3x3 Kapseln pro Tag) führen zu höheren Wirkstoffspiegeln im Blut; dabei nehmen die Nebenwirkungen nicht nennenswert zu.

Besser verhält es sich mit der Aufnahme aus dem Magen-Darm-Kanal ins Blut bei Saquinavir-Soft-Gel-Kapseln, die in der Schweiz unter dem Markennamen Fortovase® zugelassen sind. Hier lässt sich bei gleicher verabreichter Wirkstoffmenge von Saquinavir im Blut die 3,3-mal grössere Menge Saquinavir (ca. 15%) nachweisen als mit Saquinavir-Hard-Gel-Kapseln. Wesentlich höhere Blutkonzentrationen von Saquinavir werden dann erreicht, wenn mit relativ geringen Dosen von Saquinavir (sowohl von Soft-Gel- als auch von Hard-Gel-Kapseln) gleichzeitig Ritonavir (siehe unten) eingenommen wird.

Nach einer vierwöchigen Behandlung in der üblichen Dosierung senkte Saquinavir-Hard-Gel alleine den Viral Load etwa gleich wie die Hemmer der Reversen Transkriptase, und der CD4-Wert stieg durchschnittlich um 30 bis 50 Zellen pro Mikroliter Blut. Bei Menschen mit HIV, die lange Zeit mit AZT behandelt worden waren, war die Kombination von Saquinavir-Hard-Gel mit ddC – nicht aber Saquinavir-Hard-Gel alleine – besser als ddC allein: Opportunistische Erkrankungen waren seltener, und das Leben wurde verlängert. Die virologische und immunologische Wirksamkeit von Saquinavir-Soft-Gel in der üblichen Dosierung scheint mit derjenigen der anderen Hemmer der Protease vergleichbar. Die Dauer des klinischen Nutzens von Saquinavir ist unbekannt; es ist jedoch anzunehmen, dass die Wirksamkeit begrenzt ist.

Bei der Behandlung mit Saquinavir-Soft-Gel als einzigem Proteasehemmer in einer Kombination mit zwei nukleosidanalogen Hemmern der -Reversen Transkriptase werden täglich 3600 mg (3x6 Kapseln) zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen.

Wenn Saquinavir als Soft-Gel mit Efavirenz oder Nevirapin kombiniert wird, dann ist die Zugabe eines weiteren Hemmers der Protease unerlässlich.

Höhere Saquinavir-Konzentrationen im Blut werden erreicht, wenn Saquinavir Hard-Gel in Kombination mit Ritonavir eingesetzt wird. Bei zuvor unbehandelten Personen beträgt die empfohlene Dosierung von Saquinavir (Hard-Gel) 2000 mg pro Tag (2x5 Kapseln) und von Ritonavir 200 mg pro Tag (2x1 Kapsel) oder von Saquinavir (Hard-Gel) 1600mg (1x8 Kapseln) und von Ritonavir 100 mg (1x1 Kapsel) pro Tag. Saquinavir-Hard-Gel darf nie als alleiniger Hemmer der Protease eingesetzt werden.

Saquinavir wird in der Regel gut vertragen; die wichtigsten, meistens relativ leichten Nebenwirkungen sind Übelkeit und Durchfall.

Saquinavir wird wie andere Hemmer der Protease und nichtnukleosid-ana-loge Hemmer der Reversen Transkriptase in der Leber abgebaut. Wechsel-wirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese ebenfalls in der Leber abgebaut werden.


Ritonavir (RTV, Markenname: Norvir®)

Ritonavir ist in der Schweiz für die Kombinationsbehandlung gegen HIV unter dem Markennamen Norvir® zugelassen. Nach einer vierwöchigen Behandlung senkte Ritonavir allein den Viral Load durchschnittlich um das 32- bis 100fache, und die CD4-Werte stiegen im Schnitt stark an (um 50 bis 150 Zellen pro Mikroliter Blut). Die klinische Wirksamkeit wurde u.a. bei Menschen mit weit fortgeschrittener HIV-Infektion (mit einem durchschnittlichen CD4-Wert von rund 20 Zellen pro Mikroliter Blut) nachgewiesen. In der mit Ritonavir behandelten Patientengruppe verstarben innert eines halben Jahrs wesentlich weniger Menschen. Zudem erkrankten deutlich weniger Menschen mit HIV an opportunistischen Infektionen. Die Dauer des klinischen Nutzens von Ritonavir ist unbekannt; es ist jedoch anzunehmen, dass die Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist.

Nach einer Gewöhnungsphase von 10 bis 12 Tagen mit einschleichender Dosierung (z.B. 3 Tage 2x300 mg, 4 Tage 2x400 mg, 5 Tage 2x500 mg) werden täglich 1200 mg Ritonavir (2x6 Tabletten oder die entsprechende Menge Sirup) eingenommen.

Mit Hilfe von Ritonavir werden Wechselwirkungen zwischen Hemmern der Protease öfters therapeutisch genutzt. Ritonavir bewirkt im Zytochrom-P450-System der Leber eine Hemmung des Abbaus einiger Wirkstoffe, was zur Folge hat, dass ihr Spiegel länger im therapeutischen Bereich liegt. In diesem Fall beträgt die empfohlene Dosierung von Ritonavir in der Regel 200 mg (2x1 Kapsel à 100 mg) pro Tag.

Vor allem zu Beginn der Behandlung verursacht Ritonavir häufig Übelkeit, gelegentlich auch Erbrechen und Durchfall. Ein kurzzeitiges Kribbeln im Mund, etwa eine Stunde nach Einnahme der Tabletten, wird relativ häufig auch noch nach längerer Behandlungsdauer beobachtet. Ritonavir kann bei Menschen mit einer chronischen Hepatitis B oder C einen vor--bestehenden Leberschaden verschlimmern. Darum sind engmaschige Kontrollen der Leberwerte empfehlenswert.

Ritonavir, andere Hemmer der Protease und nichtnukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase werden in der Leber abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese ebenfalls in der Leber abgebaut werden.


Indinavir (IDV, Markenname: Crixivan®)

Indinavir ist in der Schweiz zur Kombinationsbehandlung gegen HIV unter dem Markennamen Crixivan® zugelassen. Nach einer vier- bis achtwöchigen Behandlung senkte Indinavir allein den Viral Load durchschnittlich um das 32- bis 100fache, und die CD4-Werte stiegen im Schnitt stark an (um 50 bis 150 Zellen pro Mikroliter Blut). Die klinische Wirksamkeit wurde bisher bei Menschen mit fortgeschrittener HIV-Infektion nachgewiesen. Patienten, die Indinavir und 3TC und nicht lediglich 3TC zusätzlich zu ihrer vorbestehenden AZT-Therapie (selten d4T-Therapie) einnahmen, hatten eine bessere Prognose. Innert neun Monaten verstarben wesentlich weniger Menschen. Zudem erkrankten deutlich weniger Menschen mit HIV an opportunistischen Infektionen. Die Dauer des klinischen Nutzens von Indinavir ist unbekannt; es ist jedoch anzunehmen, dass die Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist.

Bei der Behandlung mit Indinavir als einzigem Hemmer der Protease in einer Kombination mit zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase werden täglich 2400mg (3x2 Kapseln à 400mg) nüchtern oder zusammen mit einer fettarmen Zwischenmahlzeit eingenommen.

Höhere Indinavir-Konzentrationen im Blut werden erreicht, wenn Indinavir in Kombination mit Ritonavir eingesetzt wird. Bei zuvor unbehandelten Personen beträgt die empfohlene Dosierung von Indinavir 1600 mg pro Tag (2x2 Kapseln à 400 mg) und von Ritonavir 200 mg pro Tag (2x1 Kapsel). Unter diesen Bedingungen kann Indinavir auch zu den üblichen Mahlzeiten eingenommen werden. Bei bedeutsamen Leberfunktionsstörungen muss die Dosis angepasst werden.

Indinavir verursacht nicht selten Übelkeit, gelegentlich ein Nierensteinleiden. Unter der Kombination Indinavir und Ritonavir ist das Risiko von Nierensteinen erhöht. Während einer Behandlung mit Indinavir muss deshalb viel Flüssigkeit getrunken werden, insbesondere während einer Behandlung mit Indinavir und Ritonavir.

Indinavir, andere Hemmer der Protease und nichtnukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase werden in der Leber abgebaut. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese ebenfalls in der Leber abgebaut werden.


Nelfinavir (NFV, Markenname: Viracept®)

Nelfinavir ist in der Schweiz zur Kombinationsbehandlung gegen HIV unter dem Markennamen Viracept® zugelassen. Die Substanz wird vom Körper relativ gut aufgenommen. Nach einer mehrwöchigen Behandlung in unterschiedlichen Dosierungen senkte Nelfinavir, alleine verabreicht, den Viral Load um das 5- bis 160fache, und die CD4-Werte stiegen im Schnitt stark an (100 bis 150 Zellen pro Mikroliter Blut). Es ist anzunehmen, dass sich die günstigen Laborwerte unter der Dreierkombination auch auf den klinischen Verlauf der HIV-Infektion auswirken.

Die Dauer des klinischen Nutzens von Nelfinavir ist unbekannt; es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist.

Bei der Behandlung mit Nelfinavir als einzigem Hemmer der Protease in einer Kombination mit zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase werden täglich 2250 bis 2500 mg (3x3 Tabletten oder -
2 x5 Tabletten bzw. die entsprechenden Mengen wasserlöslichen Pulvers) zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen. Nelfinavir wird in der Regel gut vertragen. Die häufigste unerwünschte Nebenwirkung von Nelfinavir ist Durchfall.

Nelfinavir, andere Hemmer der Protease und nichtnukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase werden über die Leber ausgeschieden. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese ebenfalls in der Leber abgebaut werden.


Amprenavir (APV, Markenname: Agenerase®)

Amprenavir ist in der Schweiz zur Kombinationsbehandlung gegen HIV unter dem Markennamen Agenerase® zugelassen. Die Substanz wird vom Körper gut aufgenommen. Nach einer vierwöchigen Behandlung in unterschiedlichen Dosierungen senkte Amprenavir, alleine verabreicht, den Viral Load um das 8- bis 100fache, und die CD4-Werte stiegen im Schnitt stark an (60 bis 120 Zellen pro Mikroliter Blut). Es ist anzunehmen, dass sich die günstigen Laborwerte unter der Dreierkombination auch auf den klinischen Verlauf der HIV-Infektion auswirken. Die Dauer des klinischen Nutzens von Amprenavir ist unbekannt; es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist.

Bei der Behandlung mit Amprenavir (Agenerase®) als einzigem Hemmer der Protease in einer Kombination mit zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase werden täglich 2400 mg (2x8 Kapseln bzw. die entsprechenden Mengen des Sirups) mit oder ohne Nahrungsmittel eingenommen.

Höhere Amprenavir-Konzentrationen im Blut werden erreicht, wenn Amprenavir in Kombination mit Ritonavir eingesetzt wird. Bei zuvor unbehandelten Personen beträgt die empfohlene Dosierung von Amprenavir 1200 mg pro Tag (2x4 Kapseln à 150 mg) und von Ritonavir 200 mg pro Tag (2x1 Kapsel) oder Amprenavir 1x8 Kapseln à 150 mg und Ritonavir 1x2 Kapseln à 100 mg.

Bei bedeutsamen Leberfunktionsstörungen muss die Dosis angepasst werden. Amprenavir darf bei schwangeren Frauen nicht eingesetzt werden. Wenn Amprenavir mit Efavirenz oder Nevirapin kombiniert wird, dann ist die Zugabe eines weiteren Hemmers der Protease nötig.

Agenerase®-Sirup enthält als Lösungsmittel Propylen-Glycol, das von einzelnen Menschen nur langsam abgebaut wird. Das trifft insbesondere zu für Kinder unter vier Jahren, schwangere Frauen und Patienten und Patientinnen, die regelmässig Alkohol trinken oder Leber- oder Nierenfunktionsstörungen aufweisen oder mit Disulfiram (Antabus®) oder Metronidazol (zum Beispiel Flagyl®) behandelt werden. Auf Nebenwirkungen von Propylen-Glycol weisen zum Beispiel Pulsbeschleunigung, Regungsarmut, ein Krampfanfall und Laborveränderungen hin.

Fos-Amprenavir (FAPV, Telzir™) ist eine Pro-Drug (Vorstufe) von Amprenavir, die vom Körper besser aufgenommen und rasch zu Amprenavir (= Drug, die aktive Form) umgebaut wird. Fos-Amprenavir wird ebenfalls zusammen mit Ritonavir verabreicht. Dadurch werden bei geringerer täglicher Tablettenzahl höhere Amprenavir-Konzentrationen im Blut erreicht. Bei zuvor unbehandelten Personen beträgt die empfohlene Dosierung von Fos-Amprenavir 1400mg pro Tag (2x1 Tablette à 700mg) und Ritonavir 200mg pro Tag (2x1 Kapsel) oder Fos-Amprenavir 1400mg pro Tag (1x2 Tabletten à 700mg) und Ritonavir 200mg (1x2 Kapseln à 100mg). Fos-Amprenavir ist bisher lediglich im Rahmen von Studien oder im Rahmen eines Compassionate-Use-Programms erhältlich.

Vor allem zu Beginn der Behandlung verursacht Amprenavir relativ häufig Übelkeit, Durchfall und Hautausschläge. Manchmal wird auch von einem leichten Kribbeln im Bereich des Mundes berichtet.

Amprenavir, andere Hemmer der Protease und nichtnukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase werden über die Leber ausgeschieden. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese ebenfalls in der Leber abgebaut werden.


Lopinavir/Ritonavir (LPV/r, Markenname: Kaletra®)

Die fixe Kombination von zwei Hemmern der Protease (Lopinavir und eine kleine Dosis von Ritonavir = Lopinavir/r) ist in der Schweiz zur Kombina-tionsbehandlung gegen HIV unter dem Markennamen Kaletra® zugelassen. Die Substanzen werden vom Körper gut aufgenommen.

Lopinavir wird mit Ritonavir kombiniert, weil Ritonavir den Abbau von Lopinavir in der Leber hemmt, wodurch höhere Lopinavir-Blutspiegel erreicht werden. Die kleine Dosis Ritonavir wirkt hier nicht selbst gegen HIV, dafür ist sie zu niedrig. Hohe Lopinavir-Blutspiegel hingegen hemmen manchmal auch die Vermehrung von HIV-Varianten, die sich bei ihrer Vermehrung durch andere Proteasehemmer in den im Blut üblicherweise erreichten Konzentrationen nicht mehr beeinflussen lassen.

Eine Studie bei bisher unbehandelten Patienten und Patientinnen mit Lopinavir/r und zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase zeigte nach fast drei Jahren bei 76% der Behandelten einen Abfall des Viral Load auf <50 HIV-Erbgut-Kopien und einen eindrücklichen Anstieg der CD4-Zellen.

In einer weiteren Studie erhielten bisher nicht mit einem NNRTI behandelte Patienten und Patientinnen mit einem Therapieversagen Lopinavir/r + Nevirapin + zwei in der Erstbehandlung nicht eingesetzte nukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase. Nach 48 Wochen hatten 76% der Behandelten einen Viral Load von <50 HIV-Erbgut- Kopien und ebenfalls einen eindrücklichen Anstieg der CD4-Zellen.

Es ist anzunehmen, dass sich die günstigen Laborwerte unter der Dreier-kombination auch auf den klinischen Verlauf der HIV-Infektion auswirken. Die Dauer des Nutzens von Lopinavir/r ist unbekannt; es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Wirksamkeit zeitlich begrenzt ist. Resultate von Studien mit Lopinavir/r bei Patienten, die mit allen drei Substanzklassen vorbehandelt wurden und ein Therapieversagen zeigten, sind bisher nicht bekannt.

Bei der Behandlung mit Lopinavir/r und zwei nukleosidanalogen Hemmern der Reversen Transkriptase werden täglich 800 mg Lopinavir und 200 mg Ritonavir (2x3 Kapseln) zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen. Enthält eine Kombination zusätzlich Efavirenz, beträgt die Dosierung 2x4 Kapseln pro Tag. Dies gilt auch für Nevirapin, wenn Lopinavir/r und Nevirapin bei Patienten und Patientinnen mit mehreren vorangegangenen und inzwischen erfolglosen Kombinationsbehandlungen gegen HIV einschliesslich der Hemmer der Protease eingesetzt werden.

Vor allem zu Beginn der Behandlung verursacht Lopinavir gelegentlich Übelkeit und Durchfall. Fast immer kommt es im Blut zu erhöhten Blutfettwerten (Triglyzeride und Cholesterin).

Lopinavir/r, andere Hemmer der Protease und nichtnukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase werden über die Leber ausgeschieden. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese ebenfalls in der Leber abgebaut werden. Beachtung verdienen selbstverständlich auch Partner einer Kombinationsbehandlung gegen HIV.


Atazanavir (ATV)

Atazanavir ist gegenwärtig lediglich im Rahmen von Studien oder eines Expanded-Access-Programms zur Behandlung in Kombination mit anderen Wirkstoffen gegen HIV erhältlich. Wenn sich weiterhin günstige Ergebnisse einstellen, erscheint eine Zulassung der Substanz per Ende 2003 als wahrscheinlich. Die ersten Analysen grösserer Studien zeigen, dass Atazanavir den Viral Load und den CD4-Wert zumindest ebenso günstig beeinflusst wie Efavirenz oder Nelfinavir. Im Gegensatz zu anderen Hemmern der Protease scheinen der Gesamtcholesterinspiegel, das («schlechte») LDL-Cholesterin und die Triglyceride unter der Behandlung nicht anzusteigen.

Bei der Behandlung mit Atazanavir in Kombination mit zwei nukleosid-analogen Hemmern der Reversen Transkriptase werden einmal täglich 400 mg Atazanavir (1x2 Kapseln) zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen.

Als Nebenwirkung kann es zu einer Gelbverfärbung der Augen (Sklerenikterus) und selten zu einer Gelbverfärbung der Haut (Ikterus) kommen, wobei die Leberfunktion unbeeinträchtigt bleibt. Atazanavir darf bei schwangeren Frauen nicht eingesetzt werden.

Atazanavir, andere Hemmer der Protease und nichtnukleosidanaloge Hemmer der Reversen Transkriptase werden über die Leber ausgeschieden. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind vor allem dann zu erwarten, wenn diese ebenfalls in der Leber abgebaut werden. Beachtung verdienen selbstverständlich auch Partner einer Kombinationsbehandlung gegen HIV.




1 Als ruhend wird eine Zelle bezeichnet, die das Provirus (also den «Bauplan») enthält, aber (noch) keine neuen Viren bildet.