Subkommission Klinik (SKK) der Eidg. Kommission für Aids-Fragen (EKAF)

Können HIV-Infizierte die primäre Prophylaxe gegen die Pneumocystis carinii Pneumonie absetzen?



(Bulletin des Bundesamtes für Gesundheit 1999;27,489, 5. Juli 1999)

Die neuen antiretroviralen Kombinationstherapien gegen die HIV-Infektion führen bei den meisten Behandelten zu einer Erholung des Immunsystems. Unter diesen Vorzeichen muss in nächster Zeit die Indikation zur Primärprophylaxe und Erhaltungstherapie von opportunistischen Infektionen neu definiert werden. Erste Studienresultate zeigen, dass die Primärprophylaxe gegen die Pneumocystis-carinii-Pneumonie abgesetzt werden kann, falls die antiretrovirale Therapie zu einem anhaltenden Anstieg der CD4-Lymphozyten geführt hat.

Die Pneumocystis-carinii-Pneumonie (PCP) und die zerebrale Toxoplasmose gehören zu den häufigsten AIDS-definierenden Krankheiten bei HIV-Infizierten. Sie treten nach einem Abfall der T-Helferzellen (CD4-Lymphozyten) unter 200/µl auf. Deshalb ist bei HIV-infizierten Erwachsenen in fortgeschrittenen Stadien der HIV-Infektion eine lebenslange Primärprophylaxe gegen diese opportunistischen Infektionen indiziert. Diese wird meistens mit Cotrimoxazol durchgeführt.1,2

Unter den neuen antiretroviralen Kombinationstherapien kommt es häufig innert Monaten zu einem Anstieg der CD4-Lymphoyten auf über 200/µl. Es war aber bis vor kurzem umstritten, ob diese Zellen immunokompetent sind und deshalb fraglich, ob die Verbesserung dieses Laborwerts mit einem reduzierten Erkrankungsrisiko für PCP und/oder zerebrale Toxoplasmose assoziiert ist. Letzteres würde bedeuten, dass die entsprechende Primärprophylaxe abgesetzt werden könnte.

Die im Netzwerk der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie verbundenen, auf die Betreuung HIV-Infizierter spezialisierten Zentren der Schweiz untersuchten die Sicherheit des Absetzens der PCP-Primärprophylaxe in einer prospektiven Multizenterstudie. Die Resultate dieser vom BAG finanziell unterstützten Untersuchung wurden kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlicht3: Bei 262 HIV-Infizierten, bei denen die CD4-Lymphozyten unter einer antiretroviralen Therapie während mehr als drei Monaten wieder über den kritischen Wert (200/µl und 14% der Lymphozyten) anstiegen, wurde die Primärprophylaxe gestoppt. Während einer medianen Beobachtungszeit von fast einem Jahr wurde keine PCP oder zerebrale Toxoplasmose beobachtet. Unter den beschriebenen Voraussetzungen scheint das Absetzen der Primärprophylaxe demnach sicher zu sein.

Diese Forschungsresultate weisen darauf hin, dass die Verbesserung der CD4- Blutwerte auch eine qualitative Erholung des Immunsystems anzeigt. Sie führen dazu, dass Menschen mit einer HIV-Infektion und einem wieder erstarkten Immunsystem nun erstmals weniger Medikamente einnehmen müssen, indem sie die jahrelange antibiotische Chemoprophylaxe absetzen können. Dies hat neben den epidemiologischen Vorteilen (Entwicklung resistenter Bakterien unter dem Selektionsdruck einer Dauerantibiotikabehandlung) auch für viele Patientinnen und Patienten einen positiven psychologischen Effekt.

Allerdings sind die Resultate bezüglich des Risikos der zerebralen Toxoplasmose noch nicht völlig konklusiv, so dass die Untersuchung weitergeführt wird. Ausserdem können die Resultate dieser Untersuchung nicht auf die Sekundärprophylaxe der PCP übertragen werden: HIV-Infizierte, welche bereits eine PCP durchgemacht haben, sollten deshalb weiterhin eine medikamentöse Chemoprophylaxe durchführen, bis entsprechende Studien auch für diese Patientinnen und Patienten die Sicherheit des Absetzens gezeigt haben.

Aufgrund der Resultate dieser und ähnlicher, noch laufender Studien 4-7 zur Indikation von Primärprophylaxe und Erhaltungstherapie gegen opportunistische Infektionen bei Patientinnen und Patienten unter einer wirksamen antiretroviralen Therapie werden in den nächsten Monaten die entsprechenden Richtlinien überarbeitet.
 

Autoren: Hj. Furrer, M. Flepp, P.Vernazza, P.Francioli, E. Bernasconi, Subkomission Klinik (SKK) der Eidgenössischen Komission für Aidsfragen (EKAF)

Mitglieder und Experten der Subkommission Klinik (SKK) der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (EKAF): PD Dr. M. Battegay, Basel, Dr. H. Binz, Solothurn, Dr. E. Bernasconi, Lugano (Vorsitz), Dr. M. Flepp, Zürich, Prof. P. Francioli, Lausanne, Prof. B Hirschel, Genf, Dr. J. Jost, Zürich, Frau Dr. C. Kamber (BAG), Prof. R. Lüthy, Zürich, Dr. Hj. Furrer, Bern, Dr. L. Matter, Bern, PD Dr. Ch. Rudin, Basel, PD Dr. A. Telenti, Lausanne, Dr. P. Vernazza, St Gallen.
 

Literatur:

  1. USPHS/IDSA Prevention of Opportunistic Infections Working Group. 1997 USPHS/IDSA guidelines for the prevention of opportunistic infections in persons infected with human immunodeficiency virus: disease specific recommendations. Clin.Infect.Dis. 1997; 25:S313-S335

  2.  
  3. Subkommission Klinik (SKK) der Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen (EKAF). Neue Empfehlung zur Therapie von HIV-Infizierten. Bulletin des Bundesamts for Gesundheit 1993;

  4.  
  5. Furrer H, Egger M, Opravil M, Bernasconi E, Hirschel B, Battegay M, et al. Discontinuation of Primary Prophylaxis against Pneumocystis carinii Pneumonia in HIV-1 Infected Adults Treated with Combination Antiretroviral Therapy. N Engl J Med 1999; 340:1301-1306.

  6.  
  7. Schneider MME, Borleffs JCC, Stolk RP, Jaspers AJJ, Hoepelman AIM. Discontinuation of prophylaxis for Pneumocystis carinii pneumonia in HIV-1-infected patients treated with highly active antiretroviral therapy. Lancet 1999; 353:201-203.

  8.  
  9. Weverling GJ, Mocroft A, Ledergerber B, Kirk O, Gonzalez-Lahoz J, d'Arminio Monforte A, et al. Discontinuation of Pneumocystis carinii pneumonia prophylaxis after start of highly active antiretroviral therapy in HIV-1 infection. EuroSIDA Study Group. Lancet 1999; 353:1293-1298.

  10.  
  11. Macdonald JC, Torriani FJ, Morse LS, Karavellas MP, Reed JB, Freeman WR. Lack of reactivation of cytomegalovirus (CMV) retinitis after stopping CMV maintenance therapy in AIDS patients with sustained elevations in CD4 T cells in response to highly active antiretroviral therapy. J.Infect.Dis. 1998; 177:1182-1187.

  12.  
  13. Gill J, Moyle G, Nelson M. Discontinuation of Mycobacterium avium complex prophylaxis in patients with a rise in CD4 cell count following highly active antiretroviral therapy [letter]. AIDS 1998; 12:680