Diagnostische Empfehlung
HIV-Testkonzept 1998: Neue Richtlinien


(Bulletin des Bundesamts für Gesundheit (BAG) vom 27.4.98. p 7-10)


Die rasanten technischen Entwicklungen auf dem Gebiet der Diagnostik haben die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen veranlasst, das bisherige HIV-Laborkonzept zu überdenken und die angepassten Testabläufe und Laboranforderungen in eine neue Richtlinie für die Labors einfliessen zu lassen.



Einleitung

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) führte 1985 in Zusammenarbeit mit der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) ein HIV-Laborkonzept ein. Damit wurden drei Stufen koordiniert:

  • die Screeninglabors
  • die regionalen, vom BAG ernannten Bestätigungslabors (BL)
  • das Nationale Zentrum für Retroviren (NZR)

Nach diesem Konzept werden Proben, die im Antikörpersuchtest reaktiv ausfallen, in einem der Bestätigungslabors mit zusätzlichen Methoden (in der Regel dem Western Blot) untersucht und gegebenenfalls als positiv bestätigt. In unklaren Fällen können Proben für zusätzliche Abklärungen an das NZR weitergeleitet werden.
Positive Proben melden die Bestätigungslabors an das BAG. Die damals im Vergleich zu heute relativ mässige Qualität der Antikörpersuchtests sowie die epidemiologische Notwendigkeit einer möglichst vollständigen und zuverlässigen Erfassung der HIV-Infektionen durch das BAG waren die Hauptargumente für die Einführung des Konzeptes. Dieses Laborkonzept, anfänglich etwas umstritten, hat sich im Laufe der Jahre gut eingespielt und auch bewährt.
Zudem haben die Bestätigungslabors und das NZR grosse Erfahrung gesammelt und diese an die Screeninglabors weitergegeben, was wesentlich zum hohen Standard der HIV-Diagnostik in der Schweiz beiträgt.
Die rasante diagnostische und therapeutische Entwicklung im HIV-Bereich in den letzten Jahren hat die EKAF nun aber veranlasst, das bestehende Konzept zu überdenken und, wo nötig, anzupassen. Die Subkommission Serologie, Immunologie und Virologie der EKAF hat deshalb ein neues Laborkonzept ausgearbeitet, das vom BAG als Richtlinie 1998 eingeführt wird. Es unterteilt sich in ein «Technisches Konzept», das die Testabläufe im Rahmen der HIV-Diagnostik umschreibt, und in «Laboranforderungen», welche die Qualitätskriterien beinhalten, die beteiligte Labors erfüllen müssen.
Das vorliegende Konzept stützt sich auf die Verordnung vom 26. Juni 1996 über mikrobiologische und serologische Laboratorien, welche in Anhang 1 die Laboratorien, die in der HIV-Diagnostik tätig sind, verpflichtet, sich an das HIV-Testkonzept des BAG zu halten.



Technisches Konzept

Durch die Einführung von neuen HIV-Antikörpertests (Drittgenerationstests) mit einer hervorragenden Sensitivität und Spezifität und durch die Verfügbarkeit von quantitativen Methoden zur Bestimmung der HIV-RNS («Viral Load») im Blutplasma oder Serum konnte die HIV-Diagnostik enorm verbessert werden.
Neue Erkenntnisse über den Ablauf der HIV-Infektion erlauben ebenfalls einen besseren und gezielteren Einsatz der diagnostischen Mittel. In der Frühphase der Infektion findet eine enorme Virusvermehrung statt. Innerhalb von Tagen werden sehr hohe, im Blut mittels der quantitativen Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nachweisbare Virustiter erreicht, die im Verlauf von wenigen Wochen in der Regel aber wieder abfallen. Auch der p24-Antigentest (p24 ist ein virales Protein) wird in dieser Phase positiv. Wenig später zeigen sich dann die ersten Antikörper im Antikörpersuchtest (dem klassischen HIV-Test). Er liefert im Normalfall meist eine erste Indikation für das Vorliegen einer HIV-Infektion.
Eine klare klinische Fragestellung ist Voraussetzung für den gezielten und kostengünstigen Einsatz der diagnostischen Möglichkeiten. Es müssen vier Situationen unterschieden werden:

  1. Screening:
    Die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Infektion ist sehr gering (Prävalenz in der Schweiz ca. 0,3 %). Die meisten in der Schweiz durchgeführten HIV-Tests erfolgen wegen Blutspende, Schwangerschaft oder auf speziellen Wunsch der Getesteten. In dieser Situation genügt der Antikörpersuchtest.
  2. Abklärung eines Verdachts auf eine (länger) bestehende HIV- Infektion:
    Die Wahrscheinlichkeit, dass eine HIV-Infektion vorliegt, ist deutlich grösser als beim Screening. Primär genügt auch hier ein Antikörpersuchtest. Die Wahrscheinlichkeit von falsch negativen Ergebnissen ist jedoch im Vergleich zum Screening aus statistischen Gründen geringgradig höher (Promillebereich). Deshalb sollten bei einem unerwartet negativen Resultat des Suchtests (z. B. bei opportunistischer Infektion ohne ersichtlichen Grund) zusätzliche Untersuchungen oder eine Kontrolle nach einigen Tagen oder Wochen in Betracht gezogen werden.
  3. Abklärung eines Verdachts auf eine Primoinfektion (Neuinfektion):
    Neben dem Antikörpersuchtest muss auch der p24-Antigentest durchgeführt werden. In der Frühphase der Infektion kann der Antikörpersuchtest negativ oder grenzwertig sein, während der p24-Antigentest bereits positiv ist.
  4. Beurteilung von Prognose, Therapieindikation oder -verlauf:
    Der Patient ist bekannt HIV-positiv. Zur Beurteilung seiner Situation dienen die Messungen der Viruskonzentration und der CD4-Zellzahl im Blut (wobei irgendein entsprechend eingerichtetes Laboratorium die CD4-Zahl bestimmen kann). Antikörpersuchtests sind in dieser Situation nutzlos.
    Je besser das Labor über die Indikation Bescheid weiss, desto gezielter kann es geeignete Mittel zur sicheren Diagnosestellung einsetzen.


  5. Was ist neu im Laborkonzept 1998? (siehe auch Tabelle 1)

    Erhält das Labor einen Auftrag für einen HIV-Test, wird es diesen mit einem vom BAG zugelassenen Test ausführen. Handelt es sich um einen reinen Screeningauftrag oder um die Abklärung eines Verdachts auf eine bereits bestehende HIV-Infektion, wird das Labor einen Antikörpersuchtest machen. Bei Verdacht auf Primoinfektion wird zusätzlich der p24-Antigentest durchgeführt.

    Der Ablauf der diagnostischen Abklärungen ist in Tabelle 1 dargestellt. Fällt der Antikörpersuchtest reaktiv aus, wird das Resultat «reaktiv» dem Auftraggeber mitgeteilt – selbstverständlich nach entsprechender technischer und medizinischer Validierung – ohne dass eine Bestätigung durchgeführt wird. Der Auftraggeber sendet umgehend eine zweite Blutprobe ans Labor, welches nun einen Bestätigungstest durchführt oder durchführen lässt. Fällt dieser positiv aus, erhält der Auftraggeber das Resultat «bestätigt positiv». Mit dieser zweiten Probe wird auch ein Fehlresultat infolge Probenverwechslung ausgeschlossen.
    Für den zweiten Durchgang soll vorzugsweise EDTA-Blut verwendet werden, weil damit in der gleichen Probe die Plasma-Virämie bestimmt werden kann, sofern die Einleitung von therapeutischen Massnahmen geplant ist.



    Laboranforderungen

    Wie bereits erwähnt, kann man auf der Laborebene drei Stufen unterscheiden: die Screeninglabors, die Bestätigungslabors (die auch das Screening durchführen können) sowie das Nationale Zentrum für Retroviren (NZR).
    Bis jetzt war die Bestätigung von reaktiven Befunden auf die acht vom BAG anerkannten Bestätigungslabors beschränkt. Neu können auch andere Labors Bestätigungen in der Zweitprobe ausführen, sofern sie die in Tabelle 2 genannten Qualitätskriterien erfüllen. Labors, die nicht selber bestätigen können oder wollen, senden die Zweitprobe wie bis anhin an ein vom BAG anerkanntes Bestätigungslabor. Bei Unklarheiten können Proben an das NZR weitergeleitet werden. Die Anforderungen, die Screening- und Bestätigungslabors sowie das NZR erfüllen müssen, sind in Tabelle 2 aufgeführt.
    Labors, die die in Tabelle 2 aufgeführten Anforderungen erfüllen, können an das BAG ein Gesuch einreichen, um den Bestätigungsstatus zu erhalten. Das BAG wird nach erfolgter überprüfung das Labor in die Liste der Bestätigungslabors aufnehmen und im Rahmen des Laborkonzeptes für Bestätigungen empfehlen und veröffentlichen.


    Meldungen

    Die anonymisierten Meldungen von bestätigt positiven Resultaten an das BAG erfolgt – wie bis anhin – nach dem Bestätigungstest. Bestätigungslabors sind nach der Meldeverordnung verpflichtet, diese Resultate zu melden.
    Das HIV-Meldewesen strebt eine möglichst lückenlose Erfassung aller Erstdiagnosen von HIV-Infektionen an. Meldungen von Wiederholungstests müssen vermieden werden, da sonst die epidemiologische HIV-Surveillance verfälscht wird. Der Ausschluss von Wiederholungsmeldungen setzt voraus, dass das meldende Bestätigungslabor über geeignete EDV-Strukturen verfügt, um laborintern diese Kontrolle durchführen zu können.



    Kosten

    Die Kosten der Tests richten sich nach der Analysenliste des Bundesamtes für Sozialversicherungen. Beim Antikörpersuchtest darf, auch wenn eine überprüfung des initialen Resultats erforderlich ist, nur ein Test verrechnet werden. Wenn bei begründetem Verdacht auf eine Primoinfektion ein p24- Antigentest durchgeführt wird, kann dieser verrechnet werden. Die Verrechnung der Bestätigungstests erfolgt ebenfalls nach den Ansätzen der Analysenliste.



    Zusammenfassung

    Neu für die Auftraggeber ist:

    • Er erhält den Befund «reaktiv» vom Labor, bevor ein Bestätigungstest durchgeführt wird.
    • Er sendet erneut EDTA-Blut ins Labor für die Bestätigung des Befundes.
    • Ist der Befund «bestätigt positiv», kann in der gleichen Probe im Hinblick auf eine allfällige retrovirale Therapie der Viral Load bestimmt werden.
    • Er sollte eine klare Indikation an das Labor geben, damit dieses die am besten geeignetsten und ko-stengünstigsten Mittel zur Diagnose einsetzen kann. Der Auftraggeber wird also in der Regel schneller und mit weniger Aufwand zu einem definitiven Resultat und zu Entscheidungsgrundlagen für das weitere Vorgehen oder eine Behandlung kommen.

    Neu für die Laboratorien ist:

    • Ein initial reaktives Resultat wird nicht bestätigt, sondern sofort dem Auftraggeber mitgeteilt.
    • Die Bestätigung erfolgt in der Zweitprobe und kann, sofern das Labor als Bestätigungslabor registriert ist, selbst vorgenommen werden, andernfalls ist sie an ein Bestätigungslabor weiterzuleiten.

    Zukunftsperspektiven

    Da Neuentwicklungen und Verbesserungen in der HIV-Labordiagnostik schon in naher Zukunft absehbar sind, wird die Subkommission SIV der EKAF die Situation kontinuierlich neu beurteilen und bei Bedarf das Laborkonzept anpassen.



    Tabelle 1: Vorgehen und Beurteilung von HIV-Untersuchungen


    Erstmaterial1 Zweitmaterial2
    HIV-1+2-Antikörpersuchtest p24-Antigentest3 Beurteilung Bestätigungstest4 Beurteilung
    negativ kein Hinweis auf HIV-Infektion

    negativ negativ kein Hinweis auf HIV-Infektion

    negativ oder grenzwertig grenzwertig oder reaktiv, nicht neutralisierbar unklar5 (Primoinfektion möglich) POSITIV


    unklar

    negativ

    HIV-1- bzw. HIV-2-Infektion6

    unklar->NZR

    kein Hinweis auf HIV-Infektion

    negativ oder grenzwertig grenzwertig oder reaktiv, neutralisierbar p24 Ag reaktiv (Primoinfektion wahrscheinlich) POSITIV


    unklar

    negativ

    HIV-1- bzw. HIV-2-Infektion6

    unklar->NZR

    diskrepant->neues Material

    reaktiv/reaktiv7
    reaktiv POSITIV


    unklar oder negativ

    HIV-1- bzw. HIV-2-Infektion6

    diskrepant->neues Material

    reaktiv/negativ negativ, grenzwertig oder reaktiv, nicht neutralisierbar unklar POSITIV


    unklar

    negativ

    HIV-1- bzw. HIV-2-Infektion6

    unklar->NZR

    kein Hinweis auf HIV-Infektion

    reaktiv/negativ reaktiv, neutralisierbar p24 Ag reaktiv6 (Primoinfektion wahrscheinlich) POSITIV


    unklar

    negativ

    HIV-1- bzw. HIV-2-Infektion6

    unklar->NZR

    diskrepant->neues Material


    1. Serum oder Plasma
    2. mindestens 7 ml EDTA-Blut
    3. nur einsetzen, sofern Indikation (klinische Angaben!) für Primoinfektion vorliegt
    4. Das Bestätigungslabor entscheidet, welcher Bestätigungstest angebracht ist (WB, p24-Ag-Nachweis und/oder Neutralisation, zu Ersttest alternativer Antikörpersuchtest, PCR). Die eingesetzten Bestätigungstests müssen zwischen HIV-1 und HIV-2 unterscheiden können.
    5. siehe «Wertung unklarer Ergebnisse von HIV-Tests», Schweiz. Ärztezeitung 1996: 77, 148
    6. Diese Beurteilung impliziert eine Meldung ans BAG.
    7. Initial reaktive Resultate werden überprüft, vorzugsweise mit einem Testkit anderer Bauart.



    Tabelle 2: HIV-Laboranforderungen
    Alle Laboratorien erfüllen die grundsätzlichen Anforderungen gemäss der Verordnung über die mikrobiologischen und serologischen Laboratorien. Darüber hinaus gilt:

    Funktion Methoden Anforderungen
    Screeninglabor HIV-1+2-Antikörpersuchtest
    HIV-1-p24-Antigentest
    • Anerkennung durch das BAG
    • Qualifiziertes Personal für die Durchführung und Interpretation der Tests ist jederzeit vorhanden
    • Setzt nur die vom BAG zugelassenen und empfohlenen Tests ein
    • Führt bei entsprechender Indikation zusätzlich zum Suchtest einen p24-Antigentest durch (Neutralisation für reaktive Proben kann in einem anderen Labor erfolgen)
    • Nimmt regelmässig mindestens 2x jährlich an nationalen und/oder internationalen Ringversuchen zur Qualitätskontrolle teil, soweit solche für diese Analysen verfügbar sind
    Bestätigungslabor
    (ist auch Screeninglabor)
    wie Screeninglabor und zusätzlich:
    • Western Blot
    • p24-Ag-Neutralisation
    • Screening-Test mit anderem Nachweisprinzip




    • Nukleinsäurenachweis
    wie Screeninglabor und zusätzlich:
    • Vom BAG als Bestätigungslabor registriert
    • FAMH mit speziellen Kenntnissen und ausgewiesener permanenter Fortbildung im Bereich HIV-Diagnostik und -Verlaufsbeurteilung ist vorhanden
    • Minimale Analysenfrequenz der Bestätigungstests: 1 x pro Woche
    • Meldet reaktive Proben ans BAG
    • Adäquate räumliche Voraussetzungen für PCR sind vorhanden
    • Nimmt an Qualitätskontrollen für PCR teil
    NZR wie Screening-/Bestätigungslabor und zusätzlich
    • Virusnachweis mittels Zellkultur
    • HIV-Subtypenbestimmung
    • Mega-PCR
    • PERT-Test zur Erfassung aller Retroviren
    wie Screening-/Bestätigungslabor und zusätzlich
    • Verfügt über adäquate räumliche und personelle Voraussetzungen für die Durchführung der Viruskultur
    • Kompetenz in humaner Retrovirologie



    Tabelle 3: Kurzfassung des Laborkonzeptes 1998

    Auftraggeber Labor
    1. erteilt Auftrag für HIV-Test gibt mögliche Indikation an (Screening, diagnostisch, Primoinfektion) führt Screeningtest aus Resultat: "negativ" oder "reaktiv" -> Bericht an Auftraggeber (AG) bie Verdacht auf Primoinfektion -> zusätzlich p24-Antigentest
    2. Resultat "reaktiv" oder "unklar" -> sendet umgehend EDTA-Blut ins Labor als Bestätigungslabor vom BAG anerkannt:

    führt Bestätigung aus -> Resultat an AG, wenn Bestätigung positiv -> Meldung an BAG und Kantonsarzt
    wenn Bestätigung unklar -> Probe ans NZR

    ist kein Bestätigungslabor (BL):
    sendet Probe an BL für Bestätigung

    3. erteilt ev. Auftrag für Viral-Load-Messung als Bestätigungslabor vom BAG anerkannt:

    führt quantitative HIV-RNA-PCR durch

    ist kein Bestätigungslabor:
    sendet Plasma an BL für quantitative PCR